Buchrezension: 'Die Brücke' Nr.132, 2/2004

 

 

Takis Fotopoulos: 'Umfassende Demokratie - Die Antwort auf die Krise der Wachstums- und Marktwirtschaft'.

480 Seiten, Trotzdem Verlag, Grafenau 2003. (www.trotzdem-verlag.de)

 

Unter der nicht systemhörigen Theoriebildung der letzten Zeit verdient besondere Beachtung das Buch des seit 1966 in England lebenden griechischen Ökonomen und Politologen Takis Fotopoulos. Das Werk, das zuerst 1997 in englischer Sprache erschien, liegt mittlerweile auch in französischer, griechischer,  italienischer und spanischer Fassung vor. Unter dem Leitbegriff "Umfassende Demokratie" versteht der Verfasser die totale Aufhebung der kapitalistischen Herrschaft und ihre Ersetzung durch eine auf Grundlage von Selbstverwaltung bestehenden direkten Demokratie. Wie diese Vision konkret zustande kommen und funktionieren könnte, wird in weiten Teilen des Buches ausführlich erläutert. Vernichtend ist die Abrechnung mit dem heute dominierenden Kapitalismus neoliberalen Zuschnitts und seiner hemmungslos betriebenen Markt-und Wachstumspolitik. Das Buch enthält auch eine eingehende Untersuchung des dahin gegangenen Staatssozialismus Osteuropas und über die Gründe, die zu seinem Kollaps führten. Aber der Autor setzt sich auch mit all jenen Theorien, Organisationen und Parteien auseinander, die das System reformieren wollen, ohne jedoch seinen strukturellen Klassencharakter in Frage zu stellen, wie es bei den Grünen, den Befürwortern der "Zivilgesellschaft" und andern Pseudo-oppositionellen Kräften der Fall ist, die Takis Fotopoulos zurecht als "Apologeten des Systems" einstuft. Das gilt ebenso für die Sozialdemokratie, vor allem, seitdem ihre Träger "sich den Rechten zugestellt und sich dem neoliberalen Konsens angeschlossen haben". Als völlig unzureichend für eine Überwindung des Systems sind nach Auffassung des Verfassers die Erneuerungsvorstellungen von linksbürgerlichen Theoretikern wie Jürgen Habermas, Michael Walzer oder Norbert Bobbio. Und noch entschiedener ist seine Ablehnung des Postmodernismus, des Werterelativismus und des Irrationalismus in ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Aber auch der angebliche "dritte Weg" des amerikanischen Kommunitarismus und seinem Führer Amitai Etzioni wird als eine Pseudo-Alternative entlarvt. Paradoxerweise fehlt jeder Hinweis auf  Anthony Giddens, einer der bekanntesten Vordenker der "neuen Mitte" zwischen Individualismus und Kollektivismus und ideologischer Mentor von Tony Blair und seiner "New Labour". Kein Verständnis beim Verfasser findet Hannah Arendt für ihre willkürliche Trennung vom Politischen und Sozialen.

 

Takis Fotopoulos geht von einer libertären Konzeption aus, die allerdings weder rückwärtsgewandt noch dogmatisch ist, wie sowohl aus der Begriffsbildung wie aus der Terminologie hervorgeht. Auffallend ist in diesem Zusammenhang der Einfluss von Cornelius Castoriadis und Murray Bookchin, die auch die meist zitierten Autoren des Buches sind. Das vom Verfasser bevorzugte Modell wird von ihm mit dem Begriff "demokratischer Rationalismus" zusammengefasst. Um dieses Ziel in die Tat umzusetzen setzt er auf die "sozialimaginäre" und "kreative" Kraft des Individuums und des gesellschaftlichen Prozesses. Entsprechend wendet er sich gegen die objektivistischen und szentistischen Theorien, die die Geschichte als eine Abfolge von im voraus feststehenden Gesetze begreifen, wie beim Marxismus.

 

Besonders interessant und lehrreich sind die Ausführungen über die athenische Polis und der hohe Grad an politischer Gleichheit, die vor allem unter Perikles erreicht wurde. Diese historische Erfahrung wird vom Verfasser herangezogen, um seine Vorstellungen über direkte Demokratie zu untermauern. Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang angebracht, ein Wort über die wirtschaftliche Demokratie zu sagen, die während des Spanischen Bürgerkrieges die Arbeiter und Bauern unter der Leitung der anarchosyndikalistischen CNT mit großem Erfolg durchsetzten und bis Ende des Krieges gegen den erbitterten Widerstand von Kommunisten und Rechtssozialisten auch behaupteten. Dies um so mehr, als die Vergesellschaftung der Ökonomie der wichtigste proletarische Selbstverwaltungsbeitrag des 20.Jahrhunderts in der ganzen Welt war. Zu fragen wäre schließlich, warum Takis Fotopoulos bei der Konzeptualisierung seines Befreiungsmodells den Begriff "Macht" mit einbezieht und von "gleicher Verteilung der Macht", "Dezentralisierung der Macht" oder "gleichberechtigter Aufteilung der Macht" spricht. Ich glaube, daß das Endziel einer wirklich herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung nicht die der Beibehaltung der Macht, sondern ihre Aufhebung sein sollte. Macht ist von Natur aus mit ihrem Missbrauch kausal verbunden, wie die vom Verfasser oft kritisierten Anarchisten immer gewusst haben. Dort, wo noch um Macht gerungen wird - auch dann, wenn es sich um gerechte Macht handelt - wird der Hobbesche Krieg aller gegen alle walten. Die vom Verfasser angestrebte umfassende Demokratie wird erst Wirklichkeit werden, wenn die Individuen sowohl als Einzelne wie als gesellschaftliche Akteure freiwillig dadrauf verzichten, Macht begehren und stattdessen lernen, Macht zu verachten und sie als ein Übel und als ein Zeichen der Selbstentfremdung zu betrachten.

 

Auch dann, wenn man nicht unbedingt alle Thesen von Takis Fotopoulos teilt: sein Buch stellt einen wichtigen Beitrag zur politischen Aufklärung und eine kohärente Alternative zur bestehenden Weltordnung dar.

 

Heleno Sana

(Der Rezensent wurde 1930 in Barcelona geboren und entstammt einer antifaschistischen Familie, er nahm in Spanien am Untergrundkampf gegen die Franco-Diktatur teil. Seit 1959 lebt er in Deutschland. Neben seinen journalistischen Tätigkeiten für spanische und deutsche Medien (u.a. die Kulturzeitschrift 'Indice'/Madrid) ist er Verfasser von rund 30 sozialphilosophischen, historischen und kulturgeschichtlichen Büchern in spanischer und deutscher Sprache. Zuletzt sind erschienen: 'Die Libertäre Revolution. Die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg'. Nautilus, Hamburg 2001 und 'Macht ohne Moral. Die Herrschaft des Westens und ihre Grundlagen'. PapyRossa, Köln 2003).

 

(Die Rezension ist erschienen in: "DIE BRÜCKE - Forum für Antirassistische Politik und Kultur". Heft 132, (April, Mai, Juni, 2/2004). c/o Die Brücke, Am Lorenzberg 9, D-66121 Saarbrücken).

 

 

 

Book review: Takis Fotopoulos: ' comprehensive democracy - the answer to the crisis of growth and free-market economy '.

480 sides, nevertheless publishing house, Grafenau 2003. (www.trotzdem verlag.de)

 

Under the not systemhoerigen theory formation of the last time special attention earns the book since 1966 of the Greek economist and Politologen Takis Fotopoulos living in England. The work, which appeared first 1997 in English language, is present meanwhile also in French, Greek, Italian and Spanish version. By the guidance term "comprehensive democracy" understands the author the total abolition of the capitalistic rule and its replacement by a direct democracy insisting on basis of autonomy. How this vision could come and function concretely is described in detail, in far parts of the book. Destroying the account with the capitalism of neoliberalen cut and its unrestrainedly operated Markt-und dominating today is growth politics. The book contains also a detailed investigation of the state socialism of Eastern Europe gone there and over the reasons, which led to its collapse. But the author argues also with all those theories, organizations and parties, which want to reform the system, without questioning however its structural class character, how it with the Greens, who are proponents of the "civil company" and other pseudo oppositionals forces the case, which Takis Fotopoulos classifies by right as "Apologeten of the system". That applies likewise to the social-democracy, above all, since then their carriers "for the rights set themselves and the neoliberalen consent followed". As completely insufficient for an overcoming of the system are in the opinion of the author the renewal conceptions of left-civil theoreticians such as Juergen Habermas, Michael Walzer or Norbert Bobbio. And its refusal of the post office modernism, the value relativism and the irrationalism is still more decided in its different manifestations. In addition, the alleged "third way" of the American Kommunitarismus and its leader Amitai Etzioni is exposed as a pseudo alternative. Paradoxically each reference to Anthony Giddens, of one is missing the most well-known Vordenker of the "new center" between individualism and collectivism and ideological Mentor of Tony Blair and its "new labour". No understanding with the author finds Hannah Arendt for their arbitrary separation from the political one and social one.

 

Takis Fotopoulos proceeds from a libertaeren conception, which is however neither backwards-turned nor dogmatisch, as comes out both from the concept formation and from the terminology. The influence of Cornelius Castoriadis and Murray Bookchin in this connection, which are also the usually quoted authors of the book, is remarkable. The model preferred by the author is summarized by it with the term "democratic rationalism". Around this goal into the act to convert it sets on the "socialimaginary" and "creative" strength of the individual and the social process. Accordingly it turns against the objectivistic and szentistischen theories, which understand history as a succession of in advance the being certain law, as with the marxism.

 

The remarks over the athenische Polis and the high degree at political equality, which was reached particularly under Perikles, are particularly interesting and instructively. This historical experience is consulted by the author, in order to support its conceptions over direct democracy. Perhaps it would be appropriate in this connection to say a word about the economic democracy during the Spanish of civil war the workers and farmer under the line of the anarchosyndikalistischen CNT with large success interspersed and to end of the war against the embittered resistance of communists and right socialists also stated. This all the more, as the socialization of the economics was the most important proletarian autonomy contribution of the 20-century in the whole world. To ask it would finally be why Takis Fotopoulos includes the term "power" with the Konzeptualisierung of its release model also and from "same distribution of power", "decentralization of power" or "equal allocation of power" speaks. I believe that the final goal of a really rule-free social order should be not those the retention of power, but their abolition. Power is connected from nature with their abuse causally, as the Anarchisten often criticized by the author always knew. , where still for power is struggled -, even if it concerns fair power - becomes the Hobbe war of all against all walten. The comprehensive democracy aimed at by the author will become only reality, if the individuals both when particulars and and social participants voluntarily dadrauf do without, power to desire and instead to learn to despise power and to regard it as an evil and as an indication of the self alienation.

 

 

Heleno Sana

(the rezensent 1930 in Barcelona were born and come of to an anti-fascist family, it participated in Spain at the underground fight against the Franco dictatorship. Since 1959 it lives in Germany. Apart from its journalistic activities for Spanish and German media (among other things the culture magazine ' Indice'/Madrid) he is author of approximately 30 socialphilosophical, historical and culture-historical books in Spanish and German language. Appeared last: ' the Libertaere revolution. The Anarchisten in the Spanish civil war '. Nautilus, Hamburg 2001 and ' power without moral. The rule of the west and their bases '. PapyRossa, Cologne 2003).

 

(the review is published in: "the BRIDGE - forum for Antirassisti policy and culture". Number 132, (April, May, June, 2/2004). c/o the bridge, at the Lorenz mountain 9, D-66121 Saarbruecken).