Umfassende Demokratie:  Die Antwort auf die Krise der Wachstums-und Marktwirtschaft


TEIL II: WEGE ZU EINER FÖDERALEN UMFASSENDEN DEMOKRATIE


 

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KAPITEL 6 : Eine föderale umfassende Demokratie

 

Das folgende Kapitel möchte die Voraussetzungen untersuchen, unter denen eine umfassende Demokratie mit den Elementen, wie sie im letzten Kapitel beschrieben wurden, unter den heutigen Bedingungen funktionieren könnte. Obwohl es natürlich die Aufgabe der Bürgerversammlungen der Zukunft sein wird, die konkrete Form einer umfassenden Demokratie auszuarbeiten, ist es meiner Ansicht nach schon jetzt wichtig, zu demonstrieren, dass eine derartige Gesellschaftsform nicht nur, wie der erste Teil dieses Buches zeigen sollte, notwendig ist, sondern auch in die Praxis umgesetzt werden kann. Das ist gerade heute von großer Bedeutung, wo die angebliche „Linke“ jede Vision einer Gesellschaft, die nicht auf den von ihr als gegeben vorausgesetzten Größen Marktwirtschaft und liberaler „Demokratie“ basiert, aufgegeben hat und alle dazu in Widerspruch stehenden Visionen als „utopisch“ (im negativen Sinn des Wortes) verketzert. Es muss daher einerseits - wie ich es im ersten Teil des Buches versucht habe - gezeigt werden, dass es in Wirklichkeit die Vision der „Linken“ von „radikaler“ Demokratie ist, gerade weil sie die gegenwärtige internationalisierte Marktwirtschaft als gegeben voraussetzt, die als völlig unrealistisch gelten muss. Aber es ist meines Erachtens ebenso wichtig zu versuchen, zumindest grob zu umreißen, wie eine alternative, auf umfassender Demokratie basierende Gesellschaft darangehen könnte, die grundlegenden sozioökonomischen Probleme zu lösen, denen jede Gesellschaft gegenübersteht, deren Ressourcen knapp und nicht in irgendeinem imaginären Überfluss vorhanden sind. Ein solcher Versuch könnte nicht nur den Anhängern des demokratischen Projekts behilflich sein, sich eine konkretere Vorstellung von der von ihnen angestrebten Gesellschaft zu machen, sondern ihnen auch Munition zur Entkräftung der gegen ihren angeblichen „Utopismus“ gerichteten Kritik liefern.

Im ersten Teil dieses Kapitels untersuche ich die Beziehung zwischen Demokratie und Gemeinde und versuche zu zeigen, weshalb eine umfassende Demokratie unter den heutigen Bedingungen nur eine Föderation von Gemeinden sein kann, in der die Gemeinden die grundlegenden Einheiten des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens sind.

Im zweiten Teil werden die Voraussetzungen für eine föderale wirtschaftliche Demokratie dargelegt und die beiden traditionellen Methoden der Ressourcenallokation (Markt und zentrale Planung) sowie der Vorschlag eines Typs partizipatorischer Planung diskutiert.

Im letzten Teil entwerfe ich ein Modell wirtschaftlicher Demokratie, das auf einer neuen Art demokratischer Planung basiert, die mit einem künstlichen „Markt“ kombiniert ist. Es ist das dezidierte Ziel dieses Modells, die Grundbedürfnisse sämtlicher Bürger der Föderation zu befriedigen, außerdem aber auch solche über die Grundbedürfnis hinausgehenden Bedürfnisse, deren Erfüllung nach Meinung der Bürger der jeweiligen Gemeinde notwendig ist. All dies soll im institutionellen Rahmen einer Mangelgesellschaft geschehen, die kein Geld, keinen Markt und keinen Staat kennt.

Demokratie und Gemeinde


Kaum jemand bezweifelt heute, was Untersuchungen zum Thema längst klar gezeigt haben, nämlich dass Partizipation Bestandteil jeden Modells sozialer Veränderung sein sollte, das heißt, dass zumindest die Initiative zu gesellschaftlichen Veränderungen von der lokalen Ebene ausgehen muss. Der Vorschlag einer Stakeholder-Marktwirtschaft ist nur ein weiterer Ausdruck des gegenwärtigen Diskurses, der die Verstärkung von „Partizipation“ zum Ziel hat. Es geht als in Wirklichkeit nicht darum, ob das partizipatorische Modell sozialer Veränderung wünschenswert ist oder nicht, sondern darum, ob im heutigen institutionellen Rahmen überhaupt echte Partizipation möglich ist. Dieser Rahmen ist auf politischer Ebene durch liberale Formen von Demokratie und auf wirtschaftlicher Ebene durch die internationalisierte Marktwirtschaft und deren Institutionen (transnationale Konzerne, IWF, Weltbank usw.) definiert - und damit ein Rahmen, der sich gegenwärtig tendenziell zu einer Reihe von Netzen städtischer Regionen innerhalb föderierter Strukturen politischer Macht entwickelt. Kurz, in Wirklichkeit geht es um die Frage Dezentralisierung oder Umgestaltung der Gesellschaft.

Von daher ist es interessant, dass viele der heutigen Vorschläge, sei es zur Dezentralisierung, sei es zur Umgestaltung der Gesellschaft, auf die Ebene der Gemeinde abzielen. So haben wir einerseits Vorschläge zur Dezentralisierung der Gesellschaft im Sinne einer Machtaneignung durch die Gemeinden auf Kosten des Zentrums,[1] und andererseits radikale Vorschläge zur Umgestaltung der Gesellschaft auf Grundlage eines neuen, auf Gemeinden basierenden Gesellschaftssystems.[2] Das ist natürlich nicht überraschend, ist es doch nur die unvermeidliche Folge des Zusammenbruchs des sozialistischen Etatismus und des Versagens des „realexistierenden Kapitalismus“. Gleichzeitig ist die Leere, die der heutige Niedergang des Etatismus besonders in Westeuropa geschaffen hat, nicht durch einen Prozess der Machtaneignung durch Gemeinden gefüllt worden. Der Verfall der Gemeinden und Gemeindewerte, der durch die heutige beschleunigte Vermarktwirtschaftlichung, den drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und den auf den Zusammenbruch des sozialdemokratischen Konsenses folgenden Niedergang des Wohlfahrtsstaates verstärkt wurde, könnte also den Versuch zur Wiederbelebung der Gemeinde im heutigen Diskurs weitgehend erklären helfen.

 

Die Bedeutung von „Gemeinde“

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt entwickelt sich in den radikalen Bewegungen im Norden und in den verschiedenen Gemeindebewegungen im Süden ein neues Bewusstsein - ein Bewusstsein, das die grundlegende Ursache des Scheiterns nicht nur der Marktwirtschaft, sondern auch des Sozialismus in der Konzentration von Macht sucht. Immer mehr Menschen begreifen daher, dass kollektive und individuelle Autonomie nur durch eine radikale Streuung der Macht erreicht werden kann.

Aber die Etablierung einer umfassenden Demokratie ist heute nur auf der Ebene föderierter Gemeinden möglich. Die Gemeindeebene ist die, auf der sich der demos wiederbeleben könnte. Zugleich ist die Ebene der föderierten Gemeinden die, auf der die Voraussetzungen für eine föderative wirtschaftliche Demokratie erfüllt sein könnten (siehe S. 237); und schließlich ist die Ebene der föderierten Gemeinden auch die, die den Voraussetzungen für eine ökologische Demokratie gerecht werden kann.

 

Trotz des neuerwachten Interesses an der Gemeinde ist das Konzept selbst immer noch notorisch umstritten, ja, einige sagen sogar anachronistisch. Es fragt sich daher, wie wir ein Konzept der Gemeinde entwickeln können, in dem sie als grundlegende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Einheit gilt, die eine umfassende Demokratie begründen könnte, ein Konzept also, das die Gemeinde als das Fundament eines dritten Gesellschaftssystems jenseits des sozialistischen Etatismus und der neoliberalen Marktwirtschaft betrachtet.

 

Brauchbarer Ausgangspunkt dieser Bemühung könnte David Clarks Definition von Gemeinde sein. Dabei spricht Clark von „Ökumenizität“ (definiert als Gefühl der Solidarität, das es den Menschen ermöglicht, sich als Teil der restlichen Gesellschaft statt als ihr Feind zu empfinden) und Autonomie (ein Gefühl von Bedeutung, das die Menschen spüren lässt, dass sie im gesellschaftlichen Gefüge eine Rolle spielen, und zwar nach Regeln, welche die Mitglieder der Gemeinde selbst aufstellen und von denen sie wissen, dass sie sie jederzeit ändern können.).[3]

 

Aber meiner Ansicht nach sind die Elemente Ökumenizität und Autonomie lediglich die notwendigen Bedingungen für eine Definition der erwünschten Gemeindebeziehungen. Meiner Meinung nach können die Mitglieder der Gemeinde kein wirkliches Gefühl von Solidarität und vor allem ihrer eigenen Wichtigkeit haben, solange ein drittes Element fehlt, das den institutionellen Rahmen einer Gemeinde definiert - nämlich das Element der Demokratie. Das Element der Demokratie, das dafür sorgt, dass es keine Konzentration von politischer und wirtschaftlicher Macht gibt, ist tatsächlich die hinreichende Voraussetzung für jede echte Gemeinde. Das ist geschichtlich immer der Fall gewesen. So hat Michael Taylor[4] anhand von primitiven Gesellschaften ohne Staat, Bauerngemeinden und „intentionalen“ (utopischen) Gemeinden gezeigt, dass für eine Gemeinde weitgehende wirtschaftliche Gleichheit und bestimmte Beziehungen unter ihren Mitgliedern notwendig sind, die Wechselseitigkeit (gegenseitige Hilfe, Kooperation, Teilen) involvieren und darüber hinaus direkt (nicht durch Vertreter, Führer usw. vermittelt) und vielseitig sind.[5]

 

Wenn wir alle drei eben erwähnten Elemente - Ökumenizität, Autonomie, Demokratie - berücksichtigen und - notwendig, um der Falle des Lokalpatriotismus zu entgehen - das föderale Element hinzufügen, werden wir die Gemeinde vielleicht ähnlich definieren wie kürzlich Bookchin, nämlich als „eine kommunale Assoziation von Menschen, die durch ihre eigene wirtschaftliche Macht, ihre eigene Institutionalisierung der Basisdemokratie und die föderale Unterstützung der auf lokaler und regionaler Ebene zu einem territorialen Netz organisierten Gemeinden in ihrer Nachbarschaft unterstützt wird“.[6] Meines Erachtens können wir ausgehend von einer derartigen Definition der Gemeinde bereits das Modell einer föderativen Demokratie umreißen.

 

Kommunitarismus: Der falsche „dritte Weg“

Allerdings sind es nicht nur die Anhänger eines radikalen Projekts zur Umgestaltung der Gesellschaft, die das Konzept der Gemeinde im Munde führen. „Gemeinde“ ist wieder in Mode gekommen, wobei die Definitionen dieses Begriffs sich natürlich meist stark von der gerade skizzierten Konzeption unterscheiden. So steht der religiöse „Kommunitarismus“, der „Gemeinde“ auf eine Weise begreift, die mit der politischen Organisation der Gesellschaft nichts zu tun hat, im Wettstreit mit einer Form von kulturellem Kommunitarismus, bei dem die Wiederbelebung der „Gemeinde“ ausdrücklich auf die Wiederherstellung alter Gemeindewerte (wie Solidarität, gegenseitige Hilfe usw.) oder die Schaffung neuer gemeinsamer Werte abzielt. Links dieser Tendenzen ist in letzter Zeit eine radikalere Bewegung für eine gemeindebasierte wirtschaftliche Entwicklung entstanden, die jedoch schon marginalisiert worden ist, da sie den gegenwärtigen institutionellen Rahmen nicht in Frage stellt. Untersuchen wir aber zunächst den kulturellen Kommunitarismus (im weiteren schlicht „Kommunitarismus“), der seit Ende der achtziger Jahre vor allem in den Vereinigten Staaten populär gewesen ist.

Die Kommunitaristen konzentrieren sich auf kulturelle Faktoren und treten offen für die Verstärkung traditioneller hierarchischer Strukturen wie der Familie und die Schaffung neuer solcher Strukturen ein. So sprechen sich einige von ihnen für einen vorgeschriebenen Gemeindedienst für Teenager aus, andere befürworten Ausgangssperren für Jugendliche, erweiterte Polizeibefugnisse bei der Suche nach Drogen und Waffen in den Städten u.a.m.[7] Das eigentliche Ziel der Kommunitaristen ist jedoch die Mobilisierung der Bürger, erstens, um die Auswirkungen des vom neoliberalen Konsens hervorgebrachten sozialen Verfalls (Explosion der Zahl von Verbrechen, Drogenmißbrauch, moralischer Unverantwortlichkeit usw.) zu lindern und zweitens, um einige Leistungen der Sozialversicherungen, die heute mit der Auflösung des Wohlfahrtsstaates mehr und mehr verschwinden, zu ersetzen.

 

Der Kommunitarismus ist daher letztlich eine Mittelklassenbewegung, die sich gegen die sozialen Symptome des neoliberalen Konsenses und der Internationalisierung der Marktwirtschaft richtet. Es  ist kein Zufall, daß heute Teile der alten sozialdemokratischen Bewegung wie zum Beispiel die britische Labour Party sich diversen Formen des „Kommunitarismus“ zuwenden und die Übergabe von Macht an die Gemeinden predigen, um ein Gegengewicht zum Markt und zu den sich gegenwärtig herausbildenden supranationalen föderalen Formen des Etatismus zu schaffen. Mit ihrem Eintreten für die Wiederherstellung einiger vom Staat aufgegebener sozialer Dienstleistungen eröffnen die Kommunitaristen daher die Möglichkeit, das Bild eines „neoliberalen Konsenses mit menschlichem Antlitz“ zu erzeugen, ohne das dies dem Staat irgendwelche Kosten verursachen würde.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Kommunitaristen den Pelz waschen wollen, ohne ihn nass zu machen, weil sie in Wirklichkeit die Privilegien, die sie dank der Marktwirtschaft und deren Internationalisierung genießen, behalten wollen, ohne allerdings dafür den Preis zu zahlen, in einer Gesellschaft zu leben, die von einer enormen Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen gekennzeichnet. Es wundert daher wenig, dass in der Problemstellung der Kommunitarier der sozioökonomische Rahmen ausgeblendet wird, und dass Etzioni, der Guru des Kommunitarismus, auf die Frage nach sozioökonomischen Rechten und der wirtschaftlichen Pläne der Kommunitarier eine unzweideutige Antwort hat „Dazu kann man ganz kurz sagen“, schreibt er, „dass nichts dergleichen vorgesehen ist.“[8] Aber dennoch scheut sich Etzioni nicht, seinen Kommunitarismus als einen „dritten“ Weg zwischen Liberalismus und Sozialismus anzupreisen![9]

 

Diese Position schert sich natürlich nicht um die Tatsache, daß jede echte Belebung der Gemeinden im Rahmen der heutigen internationalisierten Marktwirtschaft unmöglich ist, in der das Wirtschaftsleben jeder Gemeinde, also der Arbeitsplatz, das Einkommen und das Wohlergehen jedes einzelnen Gemeindemitglieds in höchstem Maß von wirtschaftlichen Kräften abhängig ist, die keine dieser Gemeinden mehr kontrollieren kann. Der weltweite Freihandel und die weltweite freie Kapitalbewegung bedeuten, dass keine Gemeinde wirtschaftlich lebensfähig sein kann, da sich die Ebene der wirtschaftlichen Lebenskraft in die neuen städtischen Regionen und die multinationalen Netze verlagert hat. Kein Wunder also, dass das Argumentation der Kom­munitaristen voller Widersprüche ist, zumal ein „auf die Förderung von Brüderlichkeit angelegtes“ soziales Gewebe das erklärte Endziel ist, aber gleichzeitig enthusiastisch der Preismechanismus gefeiert wird:

Der demokratische Kommunitarismus unterstützt prinzipiell ganz verschiedene Quellen der ökonomischen Initiative. Er lässt „den Preismechanismus zweimal  hochleben“ ... das soziale Prinzip soll bis direkt in die inneren Funktionsmechanismen eines dezentralisierten, in erster Linie marktgestützten Wirtschaftssystems durchdringen ... Wirtschaftlicher Kommunitarismus ... bedeutet die Entwicklung eines sozialen Gewebes in einem und um ein Wirtschaftssystem, was zumindest die zwischen den wirtschaftlichen Einheiten und Regierung und Gesellschaft zwangsläufig existierenden Interaktionen einen offeneren, verfassungsmäßigeren und kontrollierbareren Charakter geben würde. Im günstigsten Fall würde ein solches Gewebe durch seine ganze Anlage Brüderlichkeit, interinstitutionelle Verbindungen und demokratische Partizipation begünstigen und zugleich eine ausgeglichene, nachhaltige Form der wirtschaftlichen Entwicklung ermöglichen.[10]

Der Kommunitarismus könnte also offensichtlich in der gegenwärtigen Phase der Vermarktwirtschaftlichung eine bedeutende Rolle spielen, da er mit der Verlagerung der Macht aus dem schwächer werdenden Nationalstaat hin zu anderen Zentren vollkommen vereinbar ist, ohne deswegen in irgendeiner Weise die Marktwirtschaft und deren Internationalisierung anzugreifen. Von daher ist es kein Zufall, daß der Kommunitarismus in den USA und Europa nicht nur von Sozialdemokraten, sondern auch von reinen Neoliberalen unterstützt wird.

 

Ähnliche Argumente lassen sich gegen einen radikaleren Typ von Kommunitarismus vorbringen, wie er sich gegenwärtig in Nordamerika und Großbritannien unter dem Namen Gemeinde-Wirtschafts-Entwicklung (GWE) ausbreitet. Diese sieht (qua Einrichtung von Landtreuhandschaften der Gemeinden, Gemeinde-Finanzinstitutionen, Gemeinde-Unternehmen usw.) eine Strategie der graduellen Entfernung des Landes, der Arbeit und des Kapitals aus der Marktwirtschaft vor, womit zum einen eine Gemeindekultur und zum anderen die Etablierung einer sozialen Rechenschaftspflicht privater Firmen und des Staates bewerkstelligt werden soll. Aber während die GWE besonders in bezug auf das erste Ziel nützlich ist, kann sie der heutigen Konzentration politischer und wirtschaftlicher Macht keinen ernsten Widerstand entgegensetzen, und die Anhänger der Bewegung geben das auch selber zu:

Neue Formen wirtschaftlicher Aktivität und der in der Gemeinde geschaffenen Institutionen werden in einer von privaten Unternehmen beherrschten Wirtschaft nie ausreichen, auf lokaler Ebene genügend Arbeitsplätze und Vermögen zu schaffen, um die Folgen der sich außerhalb der Gemeinde abspielenden wirtschaftlichen Zentralisierung wettzumachen. ... Da Gemeinden keine direkte Kontrolle über wirtschaftliche Ressourcen ausüben, haben GWE-Aktivisten Partnerschaften sowohl mit staatlichen Stellen als auch mit Vertretern der Geschäftswelt als notwendig akzeptiert, um anerkannt zu werden und Zugang zu Ressourcen zu bekommen. Diese Beziehungen sind wegen der Machtungleichheit heikel.[11]

Es ist also klar, dass nur eine radikale wirtschaftliche und politische Umstrukturierung auf Gemeindeebene die Bedingungen für eine Wieder­belebung der Gemeinden und dann auch für die Überwindung sowohl der Marktwirtschaft und des Etatismus als auch der diesen entsprechenden Formen staatlicher Demokratie erzeugen kann. Da die GWE keine Schaffung einer politischen und wirtschaftlichen Machtbasis auf Gemeindeebene anstrebt, könnte diese Strategie sich leicht als nur ein weiterer zum Scheitern verurteilter Versuch einer radikalen Dezentralisierung herausstellen. Im bestehenden institutionellen Rahmens ist eine radikale Dezentralisierung weder durchführbar noch wünschenswert. Sie ist nicht durchführbar, weil im Kontext der heutigen internationalisierten Marktwirtschaft jeder Versuch zur Etablierung von Machtzentren, die ein wirkliches Gegengewicht bilden könnten, unvermeidlich scheitern würde, wann immer diese Machtzentren der Logik und Dynamik der Wettbewerbsfähigkeit widersprechen. Sie ist nicht wünschenswert, weil das Problem der Demokratie heute nicht einfach darin besteht, die gegenwärtigen Zentren politischer und wirtschaftlicher Macht dazu zu zwingen, einen Teil ihrer Macht an lokale Zentren abzugeben - einem Schritt, der schlicht und einfach die gegenwärtige Machtkonzentration im Zentrum auf lokaler Ebene reproduzieren würde. Die Frage ist, wie wir neue Formen sozialer Organisation schaffen können, die überhaupt keine Machtzentren, sondern die gleichberechtigte Aufteilung der Macht unter allen Bürgern vorsehen, also wahrhaft demokratische Organisationsformen sind, die eine Rückkehr zur klassischen Bedeutung von Politik darstellen. Untersuchen wir daher nun die Form, die eine föderal angelegte umfassende Demo­kratie annehmen könnte.

 

Eine föderale umfassende Demokratie

 

Der institutionelle politische Rahmen einer föderalen Demokratie ist im Werk Murray Bookchins und anderer bereits skizziert worden[12] und muss daher hier nicht hier im Detail beschrieben werden. Kurz gesagt ist die grundlegende Einheit, die in einer föderalen Demokratie die Entscheidungen trifft, die Gemeindeversammlung, die ihrerseits Macht an Gemeindegerichte, Gemeindemilizen usw. delegiert. Aber außerdem müssen immer noch viele wichtigen Entscheidungen von Vertretern getroffen werden, die durch die Gemeindeversammlungen delegiert werden. Murray Bookchins Beschreibung der Rolle der regionalen und föderalen Räte ist sehr klar:

Was also ist Föderalismus? Er ist vor allem ein Netz von Verwaltungsräten, deren Mitglieder oder Delegierte aus demokratischen, auf direkter Teilnahme der Betroffenen beruhenden Versammlungen der Bevölkerung in den verschiedenen Dörfern, Städten oder auch Vierteln der großen Städte gewählt werden. Die Mitglieder dieser föderierten Räte haben ein imperatives Mandat, sind abrufbar und gegenüber den Versammlungen, die sie zum Zweck der Koordinierung und Verwaltung der von den Versammlungen selbst festgelegten politischen Richtlinien auswählen, rechenschaftspflichtig. Ihre Funktion ist demnach rein administrativer und praktischer Art und hat nichts mit politischer Gestaltung zu tun, wie es bei den Repräsentanten in republikanischen Regierungssystemen der Fall ist.[13]

Die erste Frage in bezug auf eine föderative Demokratie ist die, ob direkte Demokratie heute angesichts der Größe der modernen Gesellschaften überhaupt durchführbar ist. Ein verwandtes Problem ist die Frage, wie man verhindern kann, dass die regionalen und föderalen Räte sich zu neuen Machtstrukturen entwickeln und allmählich dazu übergehen, die Gemeindeversammlungen zu „vertreten“. Was die generelle Frage der Durchführbarkeit betrifft, hat Mogens Herman Hansen die Resultate jüngerer Forschungsarbeiten zu diesem Thema resümierend darauf hingewiesen, dass „die moderne Technologie eine Rückkehr zur direkten Demokratie sehr praktikabel gemacht hat - ob sie wünschenswert ist oder nicht, ist eine getrennt zu betrachtende Frage“.[14] Auch für die Beantwortung der damit zusammenhängenden Frage, wie die Degeneration der föderalen Räte zu neuen Machtstrukturen vermieden werden kann, kann die moderne Technologie eine wichtige Rolle spielen. So könnten die Gemeindeversammlungen auf regionaler oder föderaler Ebene miteinander verbunden werden und so eine riesengroße „Versammlung der Versammlungen“ bilden. Diese Vorgehensweise würde die Beschränkung der Mitglieder der regionalen oder föderalen Räte auf die rein administrative Pflicht der Koordinierung und Ausführung der von den Gemeindeversammlungen beschlossenen Politik sogar noch erleichtern.[15] Ferner können auf institutioneller Ebene diverse Sicherheitsventile in das System eingeführt werden, die das effektive Funktionieren der Demokratie sicherstellen. Aber in letzter Instanz ist es natürlich die paedeia, die für das effektive Funktionieren der demokratischen Praxis sorgt.

 

Einem weiteren gängigen Einwand gegen die demokratische Form des Entscheidungsprozesses zufolge führt diese leicht zu einer „Tyrannei der Mehrheit“, durch die diverse - kulturell, ethnisch oder sogar politisch definierte - Minderheiten von der jeweiligen Mehrheit einfach unterdrückt würden. So verkünden einige Libertäre, die Mehrheit habe „kein größeres Recht, der Minderheit - und sei es eine aus einer Person bestehende Minderheit - Vorschriften zu machen als die Minderheit der Mehrheit“.[16] Andere heben hervor, dass „demokratische Herrschaft immer noch Herrschaft ist ... auch sie bringt inhärent immer noch die Unterdrückung des Willens zumindest einiger Menschen mit sich“.[17]

 

Ich denke, hier liegen zwei Problemkreise vor, die getrennt voneinander untersucht werden müssen, nämlich erstens die Frage, ob Demokratie immer noch „Herrschaft“ ist, und zweitens, wie Minderheiten, selbst Minderheiten, die nur aus einer Person bestehen, geschützt werden können. In bezug auf das erste Problem ist offensichtlich, dass diejenigen, die - wie wir in Kapitel 5 gesehen haben irrtümlich - annehmen, Demokratie bringe eine Form von „Herrschaft“ mit sich, die nicht-staatliche Form von Demokratie mit deren staatlichen Formen verwechseln. Dabei ignorieren die Libertären, die diese Art von Einwand gegen die Demokratie erheben, ganz einfach die Tatsache, dass in einer nicht-etatistischen Konzeption von Demokratie kein Konflikt zwischen Demokratie und der Freiheit des sozialen Individuums besteht, weil alle sozialen Individuen in gleichem Maß an der Macht teilhaben und am Entscheidungsprozeß teilnehmen können. Außerdem weist Bookchin zu Recht darauf hin, dass von diesen Kräften vorgeschlagene Alternative, nämlich der Konsens, „die individualistische Alternative zur Demokratie“[18] ist - eine Alternative, die in Wirklichkeit so tut, als gebe es die individuelle Verschiedenartigkeit, die von der Demokratie angeblich unterdrückt wird, gar nicht!

 

Was die zweite Frage betrifft, ist es tatsächlich ein Problem, wie man Minderheiten, „sogar solche aus einer Person“ vor Mehrheiten schützt, und besonders, wie man bestimmte grundlegende individuelle Freiheiten gegenüber demokratisch von der Mehrheit getroffenen Entscheidungen sichert. Die Anhänger der etatistischen Demokratie haben auf diese Frage historisch in Form der Propagierung der „Menschenrechte“ geantwortet.

 

So wurde zunächst einmal die liberale Konzeption der Menschenrechte entwickelt, nämlich von den liberalen Philosophen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts (John Locke, Montesquieu, Voltaire, Rousseau) und in den mit diesen Namen verbundenen Revolutionen in Frankreich und Amerika. Der liberale Individualismus und die Wirtschaftsdoktrin des laissez-faire bilden die Pfeiler, auf denen diese Rechte beruhen. Außerdem sind diese Rechte ganz entsprechend der liberalen Konzeption der Freiheit, die ja negativ als Abwesenheit von Beschränkungen der menschlichen Aktivität definiert ist, ebenfalls negativ als „Freiheit von“ definiert, da sie ausdrücklich das Ziel haben, der Staatsmacht Schranken aufzuerlegen.

 

Dann kam die „zweite Generation“ der Menschenrechte (soziale und wirtschaftliche Rechte), die in der sozialistischen Tradition, den sozialistischen Denkern und den Massenbewegungen und Revolten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ihren Ursprung hatte. Ihr Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die liberale Konzeption auf einer völligen Abstraktion der individuellen Freiheiten von ihrer sozioökonomischen Basis basiert, indem sie die Macht, die der ökonomische Status verleiht, ignorierte. „Gleiches Recht“ ist Marx zufolge „immer noch ... bürgerliche[s] Recht“, und zwar insofern, als es Ungleichheit voraussetzt. „Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht.“[19] Entsprechend der sozialistischen Konzeption von Freiheit, die positiv definiert ist, werden die sozioökonomischen Rechte in dieser Kategorie ebenfalls positiv definiert; das Ziel ist soziale Gleichheit, vor allem in Form einer gleichberechtigten Partizipation an der Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Produkts, was durch Intervention des Staates erreicht wird. Diese Rechte sind daher „kollektiv“ in dem Sinn, daß sie in stärkerem Maß für Gemeinden oder ganze Gesellschaften gelten als für Einzelne (Recht auf Arbeit, bezahlter Urlaub, Sozialversicherung, Bildung usw.).

 

Sowohl die liberale als auch die sozialistische Konzeption betrachten die politischen und sozioökonomischen Rechte, als seien sie voneinander zu trennen, ein Standpunkt, der, wie es ein grüner Aktivist ausgedrückt hat, das Nebenprodukt einer Konzeption ist, die das gesellschaftliche Leben als in verschiedene - politische und wirtschaftliche - Sphären aufgespalten betrachtet und sich der Erkenntnis verschließt, dass „Vorstellungen wie Gruppe, Gefühle, Beziehungen, Empfindungen, Natur, Kultur - alles was nicht definierbar, nicht quantifizierbar, über die Sinne vermittelt, aber doch zutiefst menschlich ist - nur innerhalb einer holistischen Sicht der Menschenrechte realisiert werden könnte“.[20]

 

Aber ein noch grundlegenderes, sowohl der liberalen als auch der sozialistischen Konzeption von Rechten anhaftendes Merkmal ist die Tatsache, dass sie von einer staatlichen Form von Demokratie ausgehen. Menschenrechte sind meist Rechte gegenüber dem Staat; dementsprechend haben viele dieser Rechte nur in Formen der gesellschaftlichen Organisation, in denen die politische und wirtschaftliche Macht in den Händen von Eliten konzentriert ist, überhaupt Bedeutung, während dieselben Rechte in einem nicht-staatlichen Typ von Demokratie, in dem die Macht per definitionem gleichberechtigt aufgeteilt ist, bedeutungslos werden. Diesen Standpunkt nimmt beispielsweise Karl Hess ein, wenn er erklärt, dass „Rechte Macht sind, die Macht einer Person oder einer Gruppe über einen oder mehrere andere ... Rechte gehen auf Institutionen der Macht zurück.“[21]

Im Prinzip sollte daher die Frage der Menschenrechte in Fall einer nicht-staat­lichen Demokratie, wie wir sie definiert haben, gar nicht auftauchen. Und doch bleibt auch in einer umfassenden Demokratie die Frage bestehen, wie man die Freiheit des Einzelnen am besten vor den kollektiven Entscheidungen der Versammlungen schützt. Klassische Anarchisten wie Proudhon und Kropotkin und moderne Anarchisten wie Karl Hess sehen die Lösung in Verträgen in Gestalt freiwilliger Abkommen, welche die Beziehungen der Menschen in einer nicht-staatlichen Gesellschaft regeln sollen. Aber meines Erachtens kann das Problem des Schutzes individueller Freiheiten vor Entscheidungen der Mehrheit nicht nur freiwilligen Abkommen überlassen werden, da diese leicht gebrochen werden können. Dies ist eine sehr wichtige Frage, die genau wie alle anderen wichtigen Fragen demokratisch entschieden werden sollte. Die Forderung nach einem Konsens für die Gewährung (oder Entziehung) solcher Freiheiten mag unpraktikabel oder sogar moralisch falsch sein, aber das heißt nicht, dass die einfache Mehrheit einer lokalen oder regionalen Versammlung allein über eine derart wichtige Frage entscheiden können sollte. Vielleicht haben wir hier einen Bereich, in dem die Entscheidungen mit großer Mehrheit und bei Festlegung hoher Quoren von föderalen Versammlungen getroffen werden müssten.

Damit Demokratie erträglich ist, ist jedoch ein hohes Maß an kultureller Homogenität nötig. Kulturelle Differenzen können zu einer Ablehnung der Herrschaft der Mehrheit oder zu Intoleranz bezüglich der Rechte von Minderheiten führen. Daher könnte es trotz aller Sicherheitsvorkehrungen immer zu Problemen wie der Unterdrückung von ethnischen oder sonstigen Minderheiten durch die Mehrheit kommen. Howard Hawkes hat in bezug auf die Erfahrung der USA eine mögliche Lösung für solche Probleme vorgeschlagen:

Ein kommunitärer Zugang, der die bestehende geographische Separierung der Menschen durch den weißen Rassismus zum Ausgangspunkt nimmt, kann einen Prozess der Föderation selbstverwalteter Gemeinden in Gang bringen. Diese selbstverwalteten Föderationen könnten ein Ausmaß gegenseitiger Hilfe und Selbstversorgung entwickeln, das ihnen einen gewissen Schutz gegen die uneinsichtige rassistische weiße Mehrheit bieten könnte. ... Zumindest würden radikalisierte Gemeinden ethnischer Minderheiten dadurch, dass sie sich bei ihrer Integration in die Gesamtgesellschaft auf eine unabhängige Machtbasis stützen könnten, die weißen Gemeinschaften vor die Wahl zwischen einem Festhalten am Rassismus und der Entwicklung einer neuen, durch gegenseitigen Respekt und Gleichheit geprägten Beziehung stellen.[22]

Wo immer Minderheiten geographisch voneinander separiert sind, könnte diese Lösung ihre gesellschaftliche Position schützen. Aber in Fällen, in denen eine derartige geographische Trennung nicht besteht, sollten vielleicht andere institutionelle Formen eingeführt werden, die separate Versammlungen für Minderheiten innerhalb der Föderation schaffen oder den Minderheiten vielleicht auch ein Vetorecht in Form von „Blockstimmen“ geben könnten.

Natürlich schaffen institutionelle Arrangements lediglich die Vorbedingungen für Freiheit. In letzter Instanz hängt die individuelle und kollektive Autonomie von der Internalisierung demokratischer Werte durch jeden Bürger ab. Daher spielt in dieser Beziehung wiederum die paedeia eine entscheidende Rolle. Gerade paedeia soll, zusammen mit dem hohen Bewusstseinsniveau der Bürger, das die Beteiligung an einer demokratischen Gesellschaft hoffentlich schaffen wird, entscheidend zur Etablierung eines neuen Moralkodex beitragen, anhand dessen das Verhalten der Menschen in einer demokratischen Gesellschaft beurteilt werden wird.

Es wird meines Erachtens kaum schwer zu zeigen sein, dass die moralischen Werte, die mit individueller und kollektiver Autonomie und dem Leben in einer auf Gemeinden aufgebauten Gesellschaft vereinbar sind, solche sind, die sich auf Kooperation, gegenseitige Hilfe und Solidarität gründen. Die Verinnerlichung solcher moralischer Werte wird daher eine bewusste Entscheidung autonomer Individuen in einer Gemeinde sein, und sie wird das Resultat einer grundsätzlichen Entscheidung für Autonomie, nicht das Ergebnis irgendwelcher göttlicher, natürlicher oder sozialer „Gesetze“ oder Tendenzen sein.

Einwände gegen eine föderale Demokratie

 

Gerade weil die föderale Demokratie vielleicht den einzigen realistischen Weg aus der multidimensionalen Krise aufzeigt und zugleich eine Form der gesellschaftlichen Organisation darstellt, die die institutionellen Voraussetzungen für individuelle und soziale Autonomie erfüllt, wird sie heute nicht nur von Staatsanhängern aller Schattierungen, sondern auch - und das ist auf den ersten Blick paradox - von einigen Libertären angegriffen. Was die Etatisten betrifft, überrascht es nicht, dass Anhänger der Zivilgesellschaft wie André Gorz heute die Idee einer auf Gemeinden basierenden Gesellschaft angreifen. Sehr wohl überraschend ist allerdings, dass eines seiner Hauptargumente gegen diesen Typ von Gesellschaft die Behauptung ist, sie stehe in einem notwendigen Gegensatz zu individueller Autonomie, da sie ein anderes System repräsentiere, während wir uns zum Ziel machen sollten, alles zu beseitigen, was eine Gesellschaft zum System macht.[23] Dabei macht Gorz aber klar, dass er das System von Marktwirtschaft und Staat als gegeben voraussetzt, was in folgender Aussage mündet: „Das sozialistische Ziel sollte nicht die Abschaffung des Systems oder der Sphäre der Heteronomie sein, sondern ihre Beschränkung auf diejenigen Bereiche, in denen man nicht ohne sie auskommen kann“.[24]

 

Gegen eine auf Gemeinden basierende Demokratie wird oft eingewendet, die „Komplexität“ und die Größe der heutigen Gesellschaften machten eine derartige Gesellschaft zu einem utopischen Traum. So behauptet wiederum André Gorz, eine gemeindebasierte Gesellschaft sei unmöglich, weil sie die „radikale Beseitigung“ der industriellen Technologie, der fachlichen Spezialisierung und der Arbeitsteilung voraussetze:

Es ist offensichtlich und wird allerorten akzeptiert, dass eine komplexe Gesellschaft nicht ohne Warenbeziehungen und Märkte existieren kann. Die vollständige Beseitigung von Warenbeziehungen würde die Abschaffung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Spezialisierung und die Rückkehr zu autarken Gemeinden oder einer Gesellschaft nach Art der Kibbutzim voraussetzen. ... Der Staat sollte sich um die Verteidigung und das Allgemeininteresse kümmern, zu dem auch die Existenz eines Marktsystems gehört.[25]

In Wirklichkeit setzt eine föderale Demokratie nichts von alledem voraus. Eine solche Gesellschaft ist, wie Murray Bookchin gezeigt hat,[26] völlig vereinbar mit moderner Technologie, und darüber hinaus spiegelt die Rede von der Rückkehr zu autarken Gemeinden oder einer Gesellschaft nach dem Vorbild der Kibbutzim ein total falsches Verständnis der Vorschläge für die wirtschaftliche Organisation einer solchen Gesellschaft wider. Wie ich im nächsten Abschnitt zu zeigen versuche, könnte eine föderale Demokratie auf Basis einer Mischung aus demokratischer Planung und einem künstlichen „Markt“ funktionieren, bei dem an jeden Bürger ausgegebene persönliche Gutscheine verwendet werden. Ein solches System steht weder in Widerspruch zu Spezialisierung und Arbeitsteilung, noch basiert es auf einem System autarker Gemeinden - einem System also, das heute ohnehin nicht mehr praktikabel ist. Was das vorgeschlagene System allerdings tatsächlich ausschließt, sind Marktwirtschaft und Staat, Institutionen, ohne die das „radikale“ Denken von Denkern wie André Gorz nicht auskommen kann!

 

Aber all das wird von Gorz in seinem Bemühen, durch die Selbstorganisation der Individuen zu „Kräften eines Gegengewichts“ die Entwicklung einer postindustriellen Gesellschaft zu unterstützen, in der der Kapitalismus sich angeblich transzendiert[27] (was aber, wie der Autor betont, nicht mit der Abschaffung des Kapitals verwechselt werden darf),[28] bequem ignoriert.[29] So bezeichnet Gorz, offenbar völlig blind gegenüber der historischen Dynamik und der Logik der Marktwirtschaft, die zu der neoliberalen internationalisierten Wirtschaft von heute und zum radikalen Abbau gesellschaftlicher Kontrollen über die Märkte geführt haben, den Vorschlag einer auf Gemeinden basierenden Gesellschaft als utopisch, während er gleichzeitig die Schaffung eines „europäischen ökosozialen Raums“ verficht, „in dem kommerzieller Wettbewerb und Warenrationalität restriktiven Regeln unterwerfen werden können“![30]

 

Und schließlich hat John Clark, ein ehemaliger Sozial-Ökologe, kürzlich[31] die gemeindebasierte Demokratie angegriffen, um alternativ dazu eine individualistische und spiritualistische Auffassung zu vertreten - einen Standpunkt, dem tatsächlich jedes Konzept von Demokratie fehlt. In dem von ihm als „ökokommunitär“ bezeichneten Ansatz scheint John Clark spezifisch menschliche Gemeinden in eine schemenhafte, oft metaphorische „Erd-Gemeinschaft“ auflösen zu wollen, die an die von dem katholischen Priester und Tiefenökologen Thomas Berry vertretenen pantheistischen Ideen erinnert.[32]

 

In seinem Angriff auf jedes objektiv definierte Ziel der Demokratie löscht Clark als erstes das Subjekt des demokratischen Lebens selbst aus, nämlich den Bürger, der, wie Murray Bookchin bemerkt, „die klassische Idee der Philia, Autonomie und Rationalität und vor allem des bürgerlichen Engagements verkörpert“.[33] Clark macht das Konzept des Bürgers selbst zu einer leeren Hülse, indem er diesen in ein rein subjektiv, ja idealistisch bestimmtes Wesen verwandelt - den „Bürger“ eines Ökosystems, einer Bioregion, ja ganz einfach der „Erde“ selbst! Als wäre es mit dieser Verwandlung des Bürgers in etwas Schemenhaftes noch nicht genug, sieht Clark außerdem kein Problem darin, eine asoziale, apolitische und alles in allem abstrakte „Person“ heraufzubeschwören, die für unsere heutige Zeit, in der sich angeblich alles um die Person dreht, ganz und gar charakteristisch ist. Seine Vorstellung von der Rolle des Bürgers ist eng beschränkt und geht implizit von der Idee eines partikularistischen Interesses aus, da die Bürger sich von den Interessen und Bedürfnissen ihrer eigenen Gemeinden im Gegensatz zu denen anderer Gemeinden leiten lassen

 

Während es stimmt, dass die Bürger einer bestimmten Gemeinde andere Ansichten haben können als die Bürger in anderen Gemeinden (und verschiedene Meinungen natürlich auch in ein und derselben Gemeinde möglich), ist es aber doch gerade das Ziel der föderalen Demokratie, einen institutionellen Rahmen für die demokratische Lösung solcher Differenzen bereitzustellen. Clarks Vorhaben zur Lösung des Problems von Meinungsverschiedenheiten innerhalb von Gemeinden oder zwischen ihnen geht über den ausgetretenen Pfad eines weitgehend mystischen Idealismus nicht hinaus. Vermutlich ist Clark der Ansicht, dass alle Probleme gelöst sein werden, wenn wir einen letztlich metaphorischen Zustand namens „Erdbürgerschaft“ herbeiführen, der auf mysteriöse Art Solidarität zwischen den Menschen sowie zwischen diesen und allen anderen Formen des Lebens herstellen wird. Oder wie Clark es ausdrückt: „Dringlicher als eine politische Plattform brauchen wir eine geistige Revolution, und eine Regeneration der Gemeinschaft ist wichtiger als eine politische Bewegung.“[34] Hier wird ganz deutlich, dass Clark die institutionellen Bedingungen, nämlich die gleichberechtigte Aufteilung der politischen und wirtschaftlichen Macht unter allen Bürgern und die daraus resultierende Abschaffung von hierarchischer Herrschaft und Klassenausbeutung, völlig ignoriert, obwohl sie für das Zustandekommen jener „geistigen Revolution“ und jener „Regeneration der Gemeinschaft“, für die er eintritt, unentbehrlich sind. Ganz offenkundig wird eine geistige Revolution aus sich heraus niemals zu einer radikalen Umgestaltung der Gesellschaft führen.

Clarks nächster Schritt in seinem Angriff auf das Ziel der Demokratie ist es, die Idee der Volksversammlung, einer entscheidend wichtigen demokratischen Institution, verächtlich zu machen. So werden die „Affinitätsgruppe“, die Familiengruppe und eine nicht näher definierte Form von Gemeinschaftsleben grob vereinfachend den Volksversammlungen gegenübergestellt und sogar diesen gegenüber bevorzugt, da Volksversammlungen sich angeblich leicht als untauglich erweisen könnten, solange die notwendigen „kulturellen und psychologischen Voraussetzungen“ noch nicht geschaffen worden sind. Tatsächlich spricht er sogar ganz konkret von Fällen, in denen der Übergang der „Macht an die Volksversammlungen“ leicht zu harten Gesetzen gegen Einwanderer, zur Einführung der Todesstrafe und vielleicht sogar zur Legalisierung von Folter und ähnlichen Praktiken führen könnte.

Was nun erstens die „Affinitätsgruppe“ betrifft, die inzwischen von vielen New-Age-Anhängern propagiert und sogar als nützliche Organisationsform für „zukunftsorientierte“ Großunternehmen angepriesen wird, muss darauf hingewiesen werden, dass sie von der Anarchistischen Föderation Iberiens (FAI) als organi­satorische Einheit ins Leben gerufen wurde, die oft Zwecken der „Aktion“ wie zum Beispiel „Expropriationen [diente] und nicht als Institution einer zukünftigen anarchistischen Gesellschaft gedacht war“.[35] Zweitens gelten Clarks Schlussfolgerungen genau so gut für Clarks eigene „kulturelle und psychologische Voraussetzungen“, die in vieler Hinsicht beunruhigende Ähnlichkeiten mit zeitgenössischen ökofaschistischen Vorstellungen über die Unterwerfung des Individuum unter eine mythische „Mutter Erde“ und „bioregionalen“ Überzeugungen über die rettenden Tugenden des Bodens aufweisen. Drittens erkennt Clark offensichtlich nicht, dass Probleme wie das rasante Anwachsen von Kriminalität, Armut und illegaler Einwanderung ihre objektiven Wurzeln in der heutigen Ungerechtigkeit der Verteilung wirtschaftlicher und politischer Macht haben und daher davon ausgegangen werden kann, dass diese Probleme in einer umfassenden Demokratie zusammen mit den sie verursachenden Ungerechtigkeiten verschwinden werden.

Von daher gesehen scheint John Clark den Volksversammlungen hauptsächlich deshalb wenig - oder gar überhaupt kein - Gewicht beizumessen, weil er kein Konzept von Demokratie als Konstellation von Institutionen (nämlich der Strukturen und Prozesse, die auf institutioneller Ebene die gleiche Aufteilung der Macht sichern) und Werten hat. Daher sind Formen kollektiver Entscheidungsfindung in Clarks Darstellung der Demokratie - soweit er überhaupt von ihnen spricht - ohne Bedeutung. So wird Demokratie bei Clark im wesentlichen zu einem Wertesystem, einem bloßen Geisteszustand, in dem ihm zufolge jede Handlung in jedem Lebensbereich eine Art gesetzgeberischer Tätigkeit darstellt.

Aber John Clarks ökokommunitärem Standpunkt fehlt nicht nur jedes Konzept politischer Demokratie, sondern leider ist ihm auch jede Vorstellung von wirtschaftlicher Demokratie gänzlich fremd. So sieht Clark nicht nur Unternehmen im Privatbesitz (kleine Partnerschaften, Einzelproduzenten etc.), sondern sogar eine Marktwirtschaft vor! Das hindert ihn indes nicht daran, eine Wirtschaft anzuvisieren, in der ein kooperativer Sektor den privaten Sektor dominieren soll - und all das unter Zugrundelegung einer Marktwirtschaft, die (wie wir in Kapitel 2 gesehen haben) im Verlauf des Wettbewerbs unvermeidlich zur Konzentration des Kapitals und zur Bildung der modernen Konzernkonglomerate führen muß. Es ist klar, dass Clark nicht nur keinerlei Ahnung von der Dynamik einer Marktwirtschaft hat, sondern dass er darüber hinaus auch die letzten beiden Jahrhunderte wirtschaftlicher Konzentration außer Acht lässt, in denen Experimente mit Kooperativen und ähnlichem marginalisiert oder schlicht auf den Müllhaufen der Geschichte befördert wurden.

 

Der von Anhängern des Ökokommunitarismus wie Clark vertretene bioregionalistische Ansatz hat keine innere Beziehung zur Demokratie und ist leicht mit jeder Art von sozioökonomischem System, ja sogar mit einem ökofaschistischen System à la „Grüner Adolf“ zu vereinbaren. Außerhalb eines demokratischen Kontextes können ökologische Werte leicht dazu benutzt werden, jeden ernsthaften Versuch zur Entwicklung einer befreienden Alternative zur gegenwärtigen Gesellschaft zu zersetzen, oder sie können problemlos zu Formen verzerrt werden, die auch für äußerst autoritäre Ziele einsetzbar sind. Die Schaffung verschiedener kooperativer Unternehmen mag zu kulturellen und experimentellen Zwecke nützlich sein, doch für sich genommen sind sie, wie die Geschichte und sogar jüngere Versuche wie das immer hierarchischer gewordene Mondragon-Experiment (siehe Kapitel 7) gezeigt haben, gänzlich unzureichend für eine Veränderung der Gesellschaft. In den meisten Fällen liefern derartige Unternehmungen dem System der Marktwirtschaft höchstens die Fassade eines freundlichen oder sogar humanen Images, und nur zu oft degenerieren sie zu authentisch, ja sogar besonders krass kapitalistischen Unternehmen.

 

Die Voraussetzungen wirtschaftlicher Demokratie


In diesem Abschnitt möchte ich die Voraussetzungen wirtschaftlicher Demokratie untersuchen, indem ich versuche, das ökonomische Modell zu skizzieren, auf dem eine umfassende Demokratie begründet werden könnte. Kennzeichnend für dieses Modell ist, dass es, anders als ähnliche Modellen zentraler oder dezentraler Planung, zwar die Abschaffung des Mangels zur Voraussetzung hat, aber sehr wohl im Rahmen einer Wirtschaft ohne Staat, Geld und Markt die Befriedigung der Grundbedürfnisse sicherstellt, ohne die Wahlfreiheit des Einzelnen dafür zu opfern.

Es ist klar dass der hier vorgeschlagene Typ wirtschaftlicher Demokratie nicht von der von Arendt als „kommunistische Fiktion“ bezeichneten Voraussetzung ausgeht, in der Gesellschaft als Ganzer bestehe nur ein einziges Interesse. Eine derartige Annahme (die impliziert, die „unsichtbare Hand“ der Marktwirtschaft - oder der Planungsprozess der staatssozialistischen Wirtschaft - würden das allgemeine Interesse befriedigen) abstrahiert von der wesentlichen Tatsache, dass die gesellschaftliche Aktivität das Resultat der Absichten zahlreicher Einzelner ist.[36] Statt dessen schlage ich vor, ausdrücklich von der Vielfalt der Individuen auszugehen (was wiederum bedeutet, dass es keinen Konsens geben kann), und diese Vielfalt durch die Einführung einer Kombination demokratischer Planungsverfahren mit einem Gutschein-System im Rahmen eines künstlichen „Marktes“ zu institutionalisieren. Ziel dabei ist, eine Ressourcenallokation sicherzustellen, die sowohl die individuelle Wahlfreiheit als auch die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Bürger garantiert.

 

Ferner sagt sich die hier vorgeschlagene wirtschaftliche Demokratie vom Mythos eines Stadiums des freien Kommunismus los und befasst sich mit der Frage, wie im Kontext einer Mangelgesellschaft, einer Gesellschaft also, in der die Ressourcen gemessen an den Bedürfnissen weiterhin knapp sind, eine Methode der Ressourcenallokation gefunden werden kann, die für die Erreichbarkeit des oben umrissenen Ziels sorgt. Von daher gesehen ist es kein Zufall, dass einige moderne Libertäre, die der „Politik des Individualismus“ anhängen, sich bei ihren Attacken auf die Demokratie genötigt sehen, zum einen auf den Mythos des freien Kommunismus und andererseits auf den Irrglauben zurückzugreifen, Demokratie involviere eine Abart von „Herrschaft“, nämlich in Form der Mehrheitsherrschaft. Es ist klar, welche Absicht damit verfolgt wird: Der erste Aspekt macht wirtschaftliche Demokratie überflüssig, während der zweite direkte Demokratie als gar nicht wünschenswert erscheinen lässt. So meint beispielsweise L. Susan Brown ausgehend von der anarcho-kommunistischen Losung „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ ebenso wie Goldman, dass „es an den Einzelnen ist, nach freiem Willen zu entscheiden, wie sie zusammen leben und arbeiten wollen. Es ist nichts, was ihnen von oben aufgezwungen oder von der Mehrheit diktiert wird; statt dessen schaffen die Individuen selbst frei und freiwillig die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationsformen, die sie sich wünschen“.[37] Wie jedoch weiter unten gezeigt werden wird, sind wirtschaftliche Demokratie und individuelle Wahlfreiheit nicht so unvereinbar miteinander, wie diese Aussage anzudeuten scheint.

 

Die Definition wirtschaftlicher Demokratie

 

Es lässt sich leicht zeigen, dass die üblichen Definitionen wirtschaftlicher Demokratie, die man von Liberalen, Sozialisten und grünen Ökonomen hört, entweder unangemessen oder nur partikulär oder beides sind und außerdem dazu tendieren, nur einen der beiden Hauptaspekte wirtschaftlicher Macht - nämlich Eigentum und Kontrolle - hervorzuheben.

 

Die Neoliberalen etwa identifizieren wirtschaftliche Demokratie mit „Volkskapitalismus“, welcher aber weder für demokratische Besitzverhältnisse noch für demokratische Kontrolle sorgen kann. Wie das britische Thatcher-Experiment mit dem Volkskapitalismus gezeigt hat, bedeutet eine breitere Streuung des Aktienbesitzes keine Schwächung der Konzentration von Eigentum und wirtschaftlicher Macht. Außerdem hat die Aktienstreuung an sich gar nichts mit einem höheren Maß an demokratischer Kontrolle zu tun, da die ausschlaggebenden wirtschaftlichen Entscheidungen weiterhin nach Profitkriterien von Managern und Technokraten getroffen werden.

Die Praxis des sozialistischen Etatismus fasste wirtschaftliche Demokratie tendenziell in dem engen Sinn auf, über den ich in Kapitel 5 gesprochen habe, nämlich als System zur Minimierung der sozioökonomischen Unterschiede, die der Marxschen Theorie zufolge „in letzter Instanz“ auf die ungleiche Verteilung des Privateigentums zurückgehen. Das hieß, dass der Staat entweder - so das Projekt der Sozialdemokratie - eine Umverteilung des Einkommens durch Besteuerung und ein sozialstaatliches System oder - so der realexistierende Sozialismus - die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln in die Wege leiten sollte. Da jedoch das Privateigentum an den Produktionsmitteln nur ein Aspekt wirtschaftlicher Macht ist, konnten weder der Versuch, die Auswirkungen der ungleichen Eigentumsverteilung auf das Einkommen zu minimieren, noch die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln für sich allein genommen für das Verschwinden der wirtschaftlichen Machtbeziehungen sorgen. So wurde in der sozialistischen wirtschaftlichen „Demokratie“ die wirtschaftliche Macht der kapitalistischen Elite, die in einer kapitalistischen wirtschaftlichen „Demokratie“ den privaten Sektor kontrolliert, lediglich durch die wirtschaftliche Macht der Parteielite ersetzt, die die Kontrolle über den staatlichen Sektor ausübt.

 

Heute, nach dem Zusammenbruch des „realexistierenden Sozialismus“, haben die meisten angeblichen „Sozialisten“ jede Vision einer nichtkapitalistischen Gesellschaft ohne Markt und Staat aufgegeben und setzen wirtschaftliche Demokratie mit der Förderung der „Zivilgesellschaft“ im Rahmen dessen gleich, was sie als „radikale“ Demokratie bezeichnen. Außerdem gibt es bei ihnen keinerlei dialektische Spannung zwischen dem Nationalstaat und der Zivilgesellschaft. Die Förderung der Zivilgesellschaft hat nicht mehr das geringste mit dem Absterben des Staates zu tun, sondern zielt nur auf das Zurückdrängen oder vielleicht auch lediglich die Beschränkung der Macht des Staates im Rahmen eines marktwirtschaftlichen Systems ab. Mit anderen Worten, die meisten „Sozialisten“ haben die Vision einer sozialistischen Planwirtschaft, die das Resultat einer gewissen Übergangsperiode sein sollte, inzwischen einfach fallengelassen.[38]

 

Und schließlich setzen einige grüne Ökonomen wirtschaftliche Demokratie mit diversen Formen von „Angestellteneigentum“ und „Demokratie am Arbeitsplatz“ gleich.[39] Aber obwohl solche Formen wirtschaftlicher Organisation demokratische Kontrolle bzw. de­mokra­ti­sches Eigentum voraussetzen, ist Kontrolle hier sehr eng definiert und erstreckt sich nur auf die Arbeiter und Angestellten und nicht auf die Gesellschaft als Ganze. Wenn wir dann noch daran denken, dass in diesem Typ wirtschaftlicher Demokratie letztlich immer noch der Markt darüber bestimmt, was und wie produziert wird, heißt dies vermutlich, dass wir es hier wohl kaum mit einer grundlegenden Veränderung im Charakter des Konkurrenzsystems zu tun haben. Solange die grünen Mainstream-Ökonomen das System der Marktwirtschaft und seine auf dem Prinzip „Wachstum oder Tod“ basierende Dynamik als gegeben voraussetzen, akzeptieren sie ihrer eigenen Anti-Wachstums-Rhetorik zum Trotz indirekt auch die Wachstumswirtschaft selbst. Solche Vorschläge laufen daher nicht auf die Beseitigung wirtschaftlicher Macht, sondern nur auf deren weitere Dezentralisierung hinaus, wobei sie - ebenso wie die liberalen und sozialistischen Versionen wirtschaftlicher Demokratie - nicht dafür sorgen können, dass das Gemeinwohl sich durchsetzt. Wir brauchen also offensichtlich eine Definition wirtschaftlicher Demokratie, zu der auch die Beseitigung wirtschaftlicher Macht an sich gehört.

 

Wenn man wirtschaftliche Demokratie so definieren will, dass sie Beseitigung wirtschaftlicher Machtbeziehungen mit einschließt, könnte es nützlich sein, zuerst einmal zu definieren, was direkte Demokratie ist. Wir können direkte (oder politische) Demokratie schlicht als die Form politischer Organisation definieren, die dadurch für eine gleichberechtigte Verteilung der politischen Macht unter den Bürgern sorgt, dass die Bürger sich direkt an politischen Entscheidungen und der Realisierung dieser Entscheidungen beteiligen. Diese Definition von Demokratie involviert explizit die Negation politischer Macht und geht von der Autorität des Volkes in der politischen Sphäre aus. Demnach können wir wirtschaftliche Demokratie als eine wirtschaftliche Struktur und als Prozess definieren, der durch direkte Beteiligung der Bürger an wirtschaftlichen Entscheidungen und deren Realisierung eine gleiche Verteilung der wirtschaftlichen Macht unter den Bürgern sicherstellt. Ebenso wie die direkte Demokratie ist wirtschaftliche Demokratie heute nur auf der Ebene föderierter Gemeinschaften möglich. Oder anders gesagt, sie involviert das demotische Eigentum an der Wirtschaft (die Produktionsmittel gehören dem jeweiligen demos) und unterscheidet sich insofern radikal sowohl von den beiden wichtigsten Formen der Konzentration wirtschaftlicher Macht (nämlich der kapitalistischen und der „sozialistischen“ Wachstumswirtschaft) als auch von den verschiedenen Typen eines kollektivistischen Kapitalismus vom Typ der „Arbeiterkontrolle“ oder milderen Versionen, wie sie die Sozialdemokraten der Ära des Post-Keynesianis­mus vertreten.[40]

 

Also liefert das demotische Eigentum an der Wirtschaft die wirtschaftliche Struktur für demokratisches Eigentum, während die direkte Teilnahme der Bürger an den wirtschaftlichen Entscheidungen für den Rahmen eines umfassend demokratischen Prozesses der Kontrolle über die Wirtschaft sorgt. Damit wird die Gemeinde zur authentischen Einheit des Wirtschaftslebens, da wirtschaftliche Demokratie heute nicht möglich ist, ohne das Eigentum an den und die Kontrolle über die produktiven Ressourcen auf der Ebene der föderierten Gemeinschaften zu organisieren. In der Tat bringt schon das Konzept der Gemeinde selbst die Negation wirtschaftlicher Macht mit sich.[41] So schließt diese Definition im Gegensatz zu den anderen Definitionen wirtschaftlicher Demokratie die explizite Negation wirtschaftlicher Macht ein und geht von der Autorität des Volkes in der wirtschaftliche Sphäre aus. In diesem Sinn ist wirtschaftliche Demokratie Gegenstück und zugleich Grundlage der direkten Demokratie.

 

Angesichts des heutigen hohen Konzentrationsgrades der wirtschaftlichen Macht ist es jedoch schwer, sich eine radikal andere, auf wirtschaftlicher Demokratie basierende Gesellschaftsform auch nur vorzustellen. Ist eine solche Gesellschaft heute praktikabel? Wie sollte ein mit wirtschaftlicher Demokratie vereinbares System der Ressourcenallokation aussehen? Die enorme Bedeutung dieser Frage macht die Notwendigkeit einer umfassenden kollektiven Forschungsarbeit klar. Hier können wir nur versuchsweise einige allgemeine Richtlinien vorschlagen, die bei einem solchen Unternehmen als Richtschnur dienen könnten. Theorie kann natürlich nicht mehr tun als Möglichkeiten auszuloten, und es wird Aufgabe der gesellschaftlichen „Praxis“ sein, der neuen Form gesellschaftlicher Organisation konkrete Gestalt zu geben. Im folgenden versuche ich, eine neue Vision wirtschaftlicher Demokratie und einige konkrete Vorschläge zu der Frage darzulegen, wie ein solches demokratisches Wirtschaftsmodell funktionieren könnte. In diesem doppelten Sinn stellt der hier vorgeschlagene Ansatz ein neues, gemeindeorientiertes Wirtschaftsmodell dar.

Wir können drei Voraussetzungen ausmachen, die erforderlich sind, um wirtschaftliche Demokratie praktikabel zu machen:

a) die Fähigkeit der Gemeinde zur Selbstversorgung

b) das demotische Eigentum an den produktiven Ressourcen und

c) die föderale Ressourcenallokation

Die Voraussetzungen wirtschaftlicher Demokratie: Selbstversorgung der Gemeinde

 

Selbstversorgung ist hier im Sinn von Autonomie gemeint, nicht im Sinne von Selbstgenügsamkeit, die unter heutigen Bedingungen weder praktikabel noch wünschenswert ist. Eine nützliche Definition von Selbstversorgung wird in der Coyoyoc-Erklärung der blockfreien Länder von 1974 gegeben, wo sie als „vorrangiges Vertrauen auf die eigenen menschlichen und natürlichen Ressourcen sowie die Fähigkeit zu autonomen Zielsetzungen und Entscheidungen“ bezeichnet wird.[42] Folglich sollte Selbstversorgung, obwohl sie die maximale Nutzung lokaler Ressourcen und Energiequellen einschließt, nicht mit Autarkie verwechselt und immer im Kontext des Föderalismus gesehen werden.  Da direkte demokratische Kontrolle über Wirtschaft und Gesellschaft heute nur auf der Ebene der föderierten Gemeinden möglich ist, ist klar, dass die Selbstversorgung der Gemeinde eine notwendige Voraussetzung für politische und ökonomische Autonomie ist.

 

Es ist aber nicht nur der Imperativ der Autonomie, der Selbstversorgung erforderlich macht, um die Kontrolle der Gemeinde über ihre eigenen Belange wieder herzustellen. Sie ist auch deshalb notwendig, weil der historische Trend, der von der Selbstversorgung weggeführt hat, auf makroökonomischer, kultureller, umweltpolitischer und sozialer Ebene gravierende negative Konsequenzen mit sich gebracht hat.

 

Auf makroökonomischer Ebene sind weltweit Millionen von Menschen durch die Marktkräfte (die, sobald die Menschen nicht mehr Selbstversorger sind, letztlich über ihr Schicksal bestimmen) zu Arbeitslosigkeit, Armut und sogar Hunger verurteilt worden. Heute ist das örtliche Wirtschaftsleben, was die Organisation von Produktion und Arbeit, die Deckung des Bedarfs an Gütern und Dienstleistungen und sogar soziale Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit usw. betrifft, von außerhalb liegenden Zentren abhängig. So werden kostspielige Anreize eingesetzt, die Investoren anlocken sollen, aber deren ökologische Folgen meist übersehen werden, wobei die Investitionen das lokale Angebot an Arbeitsplätzen nicht erhöhen und statt dessen einen beträchtlichen Anteil des lokal generierten Einkommens abschöpfen. So würde das jüngste GATT-Abkommen, mit dem GATT im Januar 1995 in die Welthandelsorganisation WTO umgewandelt wurde, Selbstversorgung im landwirtschaftlichen Bereich praktisch unmöglich machen und parallel dazu nicht nur die Einkommensquellen von Millionen von Bauern auf der ganzen Welt vernichten, sondern auch die Landwirtschaft in einen von den großen Agrokonzernen kontrollierten Prozess verwandeln, der noch chemieintensiver wäre als zuvor. Im Gegensatz dazu bedeutet örtliche Selbstversorgung maximale Nutzung lokaler Ressourcen und Energiequellen, was zu einer entsprechenden Maximierung der Zahl der lokalen Arbeitsplätze und, durch den damit verbundenen „Multiplikatoreffekt“, auch des lokalen Einkommens führt.

 

Auch auf kultureller Ebene hat die Abwendung von der Selbstversorgung zu einer Auflösung der sozialen Bindungen und Werte geführt, die für den Zusammenhalt der Gemeinde oder sogar ganzer Kulturen sorgen. Die Marktwerte Konkurrenzverhalten und Individualismus sind an die Stelle von Gemeinschaftswerten wie Solidarität und Kooperation getreten und haben die Menschen in passive Bürger und Konsumenten verwandelt.

 

Auf der Ebene der Umwelt hat die Abkehr von der Selbstversorgung zur Irrationalität eines Systems geführt, das für sein alltägliches Funktionieren auf den Transport von Gütern und Menschen über große Entfernungen hinweg angewiesen ist und all die Konsequenzen für die Umwelt in Kauf nimmt, die dieser massive Verkehr mit sich bringt.[43] Es verdient daher hervorgehoben zu werden, dass Selbstversorgung eine notwendige (wenn auch natürlich nicht hinreichende) Bedingung für die Etablierung einer ökologisch dauerhaften Weltordnung ist. Das ist deshalb so, weil selbstversorgende Gemeinden heute der einzige Weg zur Umkehrung des Prozesses von Überproduktion und Überkonsumption sind, eines Prozesses, der sowohl das wichtigste Resultat der „Wachstumswirtschaft“ als auch die Hauptursache der heutigen ökologischen Krise ist.

 

Und schließlich war die Abwendung von der Selbstversorgung auch mit bedeutenden sozioökonomischen Kosten verbunden, die in letzter Zeit besonders von grünen Ökonomen unterstrichen worden sind.[44] So bilden das Verlorengehen einst vorhandener Fähigkeiten, Verwundbarkeit und wirtschaftliche Abhängigkeit die Kosten der Arbeitsteilung, der Spezialisierung und des freien Handels. Mit anderen Worten: Die Abwendung von der Selbstversorgung führt zu einer radikalen Abwendung von individueller und sozialer Autonomie. So wurden die hierarchischen sozialen Strukturen vor Beginn der „Marktwirtschaft“, die sich vorwiegend auf nichtökonomische Faktoren grün­deten, in der Marktwirtschaft schlicht durch neue, auf ökonomischen Grundlagen basierende hierarchische Strukturen ersetzt. Wir müssen daher diese wirtschaftlichen Grundlagen beseitigen, um die Herrschaft des Menschen über den Menschen abschaffen zu können.

 

Wirtschaftliche Demokratie ist daher unmöglich ohne eine radikale Dezentralisierung der wirtschaftlichen Macht, die den Weg zur Selbstversorgung eröffnet. Eine radikale Dezentralisierung bedeutet aber, dass der Entwicklungstyp, der in der Geschichte den Fortschritt mit wirtschaftlichem Wachstum und wirtschaftlicher Effizienz identifiziert hat, aufgegeben werden muss. Tatsächlich war der Trend zur Abkehr von lokaler wirtschaftlicher Selbstversorgung ein unvermeidliches Nebenprodukt des Aufstiegs der Marktwirtschaft. Anders gesagt, die Kennzeichen dieses Trends (Arbeitsteilung, Spezialisierung, Ausnutzung des komparativen Kostenvorteils durch freien Handel) folgten notwendig aus der expandierenden Natur des marktwirtschaftlichen Systems und seiner auf dem Prinzip „Wachstum-oder-Tod“ basierenden Dynamik. Ähnlich resultierte das Kopieren der kapitalistischen Fortschrittsidee durch Marx zur „sozialistischen“ Wachstumswirtschaft, in der die gewaltige Konzentration wirtschaftlicher Macht in der Hand der Bürokraten, die die Kontrolle über die zentrale Planung ausübten, jede Möglichkeit der Selbstversorgung zunichte machte.

 

Heute findet auch im Rahmen der internationalisierten Marktwirtschaft eine Form von Dezentralisierung statt, eine Dezentralisierung, die durch technologischer Veränderungen erleichtert wird. Fertigungsstufen (und für einige Produkte sogar der Produktionsprozess selbst), die früher in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern abgewickelt wurden, werden seit einiger Zeit in die Peripherie und Halbperipherie (Mexiko, Korea, Taiwan, Mittelmeerländer Europas, Thailand, Malaysia, China, Osteuropa) verlagert. Die multinationalen Konzerne verfügen inzwischen über die technologische Fähigkeit, Teile der produktiven Tätigkeit vom Zentrum in die Peripherie zu verlagern, um die Produktionskosten (inklusive der Kosten für den Umweltschutz) zu minimieren. Aber die Dezentralisierung, die im Rahmen dieses Prozesses stattfindet, ist physischer, nicht wirtschaftlicher Art, da die wirtschaftliche Macht in den metropolitanen Zentren verbleibt. Gerade die Dynamik der neoliberalen Phase, die die Märkte von den „Beschränkungen“ befreite, die ihnen in der etatistischen Phase der Vermarktwirtschaftlichung noch durch den Staat auferlegt waren, führte, wie ich im ersten Teil dieses Buches gezeigt habe, zu einer weiteren Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den metropolitanen Zentren. Ich werde diesen Prozess daher abhängige Dezentralisierung nennen, weil er nicht zur Schaffung selbstversorgender Gemeinden führt, sondern einen integralen Bestandteil des heutigen Konzentrationsprozesses wirtschaftlicher Macht in den metropolitanen Zentren bildet, der lediglich von einer gewissen, parallel verlaufenden Dezentralisierung der Produktion im Weltmaßstab begleitet wird.[45] Daher bringt dieser Prozess eine Reproduktion der hierarchischen Arbeitsteilung und der Beziehungen von Beherrschung und Ab­hängigkeit mit sich.

 

Ein klares Beispiel für abhängige Dezentralisierung ist das „Subsidiaritätsprinzip“, das gegenwärtig bei der Europäische Union eingeführt wird, um die Befürchtungen der europäischen Völker zu beschwichtigen, die jetzt auch noch die minimalen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung in Gefahr sehen, die sie heute haben. Bei diesem Prinzip, nach dem Entscheidungen auf der niedrigst möglichen Ebene gefällt werden sollen, geht es hauptsächlich um die Dezentralisierung der politischen Entscheidungen, während die wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen auch weiterhin - mittels der gerade geschaffenen Institutionen der  Wirtschafts- und Währungsunion - zentral von der politischen und technokratischen Elite getroffen werden sollen. Daher ist die Dezentralisierung der Europäischen Union nicht nur kein Beitrag zur Verringerung der Abhängigkeit ihrer Peripherie vom Zentrum, sondern in Wirklichkeit ist sogar das Gegenteil der Fall. Die metropolitanen Gebiete bestimmen Quantität und Inhalt der Entwicklung der peripheren Gebiete sowohl auf der mikroökonomischen als auch auf der makroökonomischen Ebene: auf der Mikroebene, weil das  für die Entwicklung der Peripherie benötigte multinationale Kapital in den metropolitanen Gebieten seinen Ursprung hat, und auf der Makroebene, weil die wirtschaftlich stärkeren Gebiete in der Lage sind, den schwächeren Gebieten über die Institutionen der Europäischen Union direkt ihren Willen aufzuzwingen.

 

Das Gegenteil dieses Dezentralisierungstyps ist eine selbstversorgende Dezentralisierung, die nur auf der horizontalen Interdependenz wirtschaftlich selbstversorgender Gemeinden begründet werden kann. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den föderierten Gemeinden sollte daher so strukturiert sein, dass sie im Rahmen kollektiver Unterstützung gegenseitig ihre Selbstversorgung stärken, statt, wie es heute der Fall ist, Beherrschung und Abhängigkeit zu fördern. Das könnte nur im Rahmen eines föderativen demokratischen Planungsprozesses erreicht werden. Selbstversorgung innerhalb dieses Rahmens sollte bedeuten, dass die demokratisch definierten Grundbedürfnisse soweit wie möglich auf Gemeindeebene erfüllt werden, obwohl das Maß, in dem diese Bedürfnisse befriedigt werden, in der gesamten Föderation gleich sein sollte (siehe S. 255). Also ist in einer Föderation ein Austausch zwischen den Gemeinden sowohl notwendig als auch wünschenswert, da Selbstversorgung allein nie zur Befriedigung aller Bedürfnisse führen kann. Das entscheidende Problem ist, wer die Kontrolle über diese Austauschprozesse ausübt: die Gemeinschaft selbst, wie es etwa in den mittelalterlichen Städten der Fall war,[46] oder der „Markt“ und damit jene, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht in einer Position sind, von der aus sie den Markt kontrollieren können, also die Angehörigen der wirtschaftlichen Elite.

 

Eine sehr wichtige Frage im Hinblick auf die Selbstversorgung ist die nach der Größe der wirtschaftlichen Einheit (d.h. nach der Größe der Gemeinde), die einerseits Selbstversorgung als lebensfähige Option ermöglicht und andererseits mit direkter und wirtschaftlicher Demokratie vereinbar ist. Was die wirtschaftliche Lebensfähigkeit betrifft, kann man hier keine a priori Antwort geben, da dies nicht zuletzt von Faktoren wie Zugang zu Rohstoffen, Klima, Geographie und anderem abhängt. Immerhin ist interessant, dass Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts siebzig Prozent der Länder mit weniger als 100.000 Einwohnern zu der Ländergruppe gehörten, die von der Weltbank als Länder mit „hohem Einkommen“ oder „mittlerem bis hohem Einkommen“ eingestuft wurden.[47] Das zeigt deutlich, dass wirtschaftliche Lebensfähigkeit nicht ausschließlich oder auch nur entscheidend von der Größe des Landes abhängt, vorausgesetzt natürlich, dass diese Größe ein bestimmtes Minimum (sagen wir einmal 30.000 Einwohner), das die lokale Befriedigung vieler, wenn nicht der meisten grundlegenden Bedürfnisse gestatten würde, nicht unterschreitet.

 

Daher sollte die Vereinbarkeit mit direkter und wirtschaftlicher Demokratie, das heißt, die Möglichkeit der Entscheidungsfindung in Versammlungen unter direkter Beteiligung aller, das grundlegende Bestimmungsmerkmal für die Größe der selbstversorgenden Gemeinde sein. Aus diesen Gründen erweist sich die Kommune (der demos) als die wirtschaftliche Einheit, die als Kern einer umfassenden Demokratie wohl am geeignetsten ist. Angesichts der gewaltigen Größe vieler moderner Städte heißt das aber, dass viele davon zu diesem Zweck in kleinere Teile aufgebrochen werden müssen. Das bedeutet nicht ihre sofortige physische Dezentralisierung, die offenkundig viele Jahre in Anspruch nehmen wird, sondern lediglich ihre institutionelle Dezentralisierung, mit der sofort begonnen werden könnte.

 

Die Voraussetzungen wirtschaftlicher Demokratie: demotisches Eigentum an den produktiven Ressourcen

 

Bei der Frage des Eigentums geht es darum, wer die produktiven Ressourcen besitzt und die Kontrolle über sie ausübt. Sie sollte nicht mit dem Problem der Ressourcenallokation verwechselt werden, bei dem es um den Mechanismus zur Entscheidung über die grundlegenden Fragen was, wie und für wen geht. Die beiden modernen Formen des Eigentums an produktiven Ressourcen sind die kapitalistische und die sozialistische, während die beiden Hauptformen der Ressourcenallokation der Markt und der Plan sind. Die geschichtliche Erfahrung hat uns alle möglichen Mischungen von Systemen des Eigentum und der Kontrolle auf der einen und der Ressourcenallokation auf der anderen Seite vorgeführt, die von Firmen in Staatsbesitz im Rahmen einer Marktwirtschaft bis zu kapitalistischen Firmen innerhalb einer Planwirtschaft reichen.

 

Ebenso sollte die Frage des Eigentums nicht mit der Frage der Kontrolle verwechselt werden. Ich spreche hier nicht einfach von dem Argument, das auf die Trennung von Eigentum und Kontrolle in den riesengroßen Aktiengesell­schaften unserer Zeit verweist, wo zwar Anteilseigner die Eigentümer sind, aber die tatsächliche Kontrolle von Managern und Technokraten ausgeübt wird. In Wirklichkeit ist diese berühmte Trennung in diesem Fall ohne Bedeutung, weil die Anteilseigner und die Technokraten in gewisser - von unserem Standpunkt aus ausschlaggebender - Hinsicht weitgehend dieselben Motive haben, nämlich Profit zu machen und die hierarchischen Beziehungen zu reproduzieren, durch die die meisten Arbeitnehmer von der Beteiligung an den Entscheidungen ausgeschlossen werden. Ich spreche hier auch von dem Fall, in dem eine Firma den Arbeitnehmern gehören mag, aber dennoch von Technokraten und Managern verwaltet und letztlich kontrolliert wird (wie zum Beispiel bei der Arbeiterkooperative vom Mondragon-Typ[48]). In diesem Fall kann sich ein tatsächlicher Interessenskonflikt zwischen denen, die die Firma besitzen (den Arbeitern) und denen, die sie kontrollieren (den Managern usw.), entwickeln. Das Ziel der Profitabilität mag ihnen gemeinsam sein, die Aufrechterhaltung von Hierarchien aber vielleicht nicht. Dieser Interessenskonflikt zeigt sich daran, dass, wie sogar die Anhänger des Konzepts der Arbeiterkooperativen zugeben, „viele Kooperativen tatsächlich schlecht verwaltet worden sind, und zwar hauptsächlich wegen mangelnder Disziplin von Seiten der Produktionsarbeiter, die die Anordnungen des Managements missachten“.[49]

 

Das kapitalistische Eigentumssystem umfasst auch das private Eigentum an den produktiven Ressourcen und ist im allgemeinen mit einem Marktsystem verbunden, das für die Verteilung dieser Ressourcen sorgt. Ob mit Marktsystem oder ohne: aus dem privaten Charakter des Eigentums an den produktiven Ressourcen folgt, dass die Kontrolle über die Ressourcen zugunsten besonderer Interessen (der Anteilseigner, Manager oder Arbeiter) und nicht zugunsten der Interessen der Allgemeinheit ausgeübt wird. Außerdem bringt Privateigentum an den produktiven Ressourcen zusammen mit einer Ressourcenallokation durch den Markt, wie es im System der Marktwirtschaft der Fall ist, Ungleichheit, Konzentration der politischen und wirtschaftlichen Macht, Arbeitslosigkeit und eine verkümmerte oder „unangemessene“[50] Entwicklung hervor. Die Dynamik entsprechend dem Prinzip „Wachstum-oder-Tod“, die sich in einem solchen System unvermeidlich entwickelt, führt zu systematischen Bestrebungen zur Eroberung der Natur und damit zur Schädigung Natur. Daher ist dieses System offenkundig unvereinbar mit einer umfassenden Demokratie.

 

Auf der anderen Seite bedeutet das sozialistische Eigentumssystem „gesellschaftliches Eigentum“ an den Produktionsmitteln, das wiederum entweder im Rahmen des Marktes oder innerhalb des Planungssystems existieren kann. Dies hat historisch zwei Hauptformen angenommen:

(a)     nationalisierte Unternehmen

(b)     kollektivierte Unternehmen in Selbstverwaltung

In nationalisierten Unternehmen besteht eine wirkliche Trennung zwischen Eigentum und Kontrolle: Während das Eigentum formal der Gesellschaft als Ganzer gehört, liegt die effektive Kontrolle über die Produktion entweder - in einem marktwirtschaftlichen System - bei technokratischen Eliten oder - in einem geplanten System - bei bürokratischen Eliten, die sämtliche wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen treffen. Das bedeutet, daß bei dieser Organisationsform Partikularinteressen nicht über das Eigentum, sondern über Kontrolle verfolgt werden. Dies ist ganz unabhängig davon, ob solche Unternehmen innerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems fungieren (und sich in ihren Zielen dann meist nicht von normalen kapitalistischen Firmen unterscheiden) oder innerhalb eines „sozialistische“ Plansystems (und mittels der Kontrolle über den Staatsapparat und im Kontext einer bürokratischen Kontrolle von oben nach unten von der Parteielite kontrolliert werden). Von daher ist klar, dass nationalisierte Unternehmen unvereinbar mit wirtschaftlicher Demokratie sind.

 

Kollektivbetriebe in Selbstverwaltung sind ganz oder teilweise Eigentum der Arbeiter/Angestellten des Unternehmens. Historisch finden wir selbstverwaltete Unternehmen sowohl in marktwirtschaftlichen Systemen (z.B. die Mondragon-Koops) als auch innerhalb der „sozialistischen“ Planwirtschaft (wie etwa im Fall der jugoslawischen selbstverwalteten Unternehmen). Das Hauptproblem mit diesen selbstverwalteten Unternehmen ist, dass sie in dem Maß, wie sie voneinander und von der Gesellschaft als Ganzer unabhängig sind, dazu tendieren, das Sonderinteresse ihrer Mitarbeiter zu befriedigen und im Verhältnis dazu das Gemeininteresse der Bürger ihrer Gemeinde zu vernachlässigen. Ferner müssen sie im allgemeinen dieselben Produktionsmethoden verwenden wie kapitalistische Firmen, um in einer von Konkurrenz bestimmten Welt zu überleben, und das sind Methoden, die häufig entfremdend, umweltschädigend, arbeitsplatzvernichtend usw. sind. Darüber hinaus haben Kollektivunternehmen in Selbstverwaltung die Tendenz, miteinander auf eine Weise in den Wettbewerb um produktive Ressourcen (Natur, Arbeit) zu treten, die der Konkurrenz unter kapitalistischen Firmen sehr ähnlich ist. Und schließlich können solche Formen der Selbstverwaltung nicht die Autonomie der Arbeiter als Bürger sicherstellen. Auch wenn einige ihrer Formen, wie sie von den Syndikalisten und Teilen der grünen Bewegung unterstützt werden, vielleicht demokratische Prozeduren in den Unternehmen (das, was wir oben als „Demokratie im sozialen Bereich“ definiert haben) fördern, leisten sie also nichts zur Förderung der Demokratie insgesamt, für die Gemeinde als Ganze. So stellen diese Formen der Selbstverwaltung, wie Bookchin feststellt, im allgemeinen „ausbeuterische Produktion mit Einverständnis der Arbeiter“ dar.[51] Daher sind auch kollektivierte selbstverwaltete Unternehmen mit einer umfassenden Demokratie im allgemeinen und einer wirtschaftlichen Demokratie im besonderen unvereinbar.

 

Wirtschaftliche Demokratie erfordert daher offensichtlich einen anderen Typ sozialen Eigentums, der für ein demokratisches Eigentum und demokratische Kontrolle über die produktiven Ressourcen sorgt, und die einzige Form des Eigentums, die dies garantieren kann, ist das demotische (Gemeinde-)Eigentum. Dieser Eigentumstyp führt zur Politisierung der Ökonomie, zur wirklichen Synthese von Wirtschaft und Gemeinwesen - einer Synthese, die nur innerhalb des institutionellen Rahmens einer umfassenden Demokratie erreicht werden kann. Dieser Rahmen schließt definitionsgemäß jede Trennung zwischen Eigentum und Kontrolle aus und stellt die Verfolgung des Gemeininteresses sicher. Wie ich weiter unten zeigen werde, ist das deshalb der Fall, weil die wirtschaftlichen Entscheidungen von der gesamten Gemeinde getroffen werden. Das Mittel dazu sind die Bürgerversammlungen, auf denen die Menschen die grundlegenden, die ganze Gemeinschaft betreffenden makroökonomischen Entscheidungen fällen: als Bür­ger, nicht als berufsorientierte Gruppen wie Arbeiter, Techniker, Ingenieure, Bauern usw. Gleichzeitig würden die Menschen an ihrem Arbeitsplatz nicht nur an den Entscheidungen der Gemeinde über die allgemeinen Planziele teilhaben, sondern außerdem auch als Arbeiter (im obigen, weit gefaßten Sinn von Berufssparten) auf ihren jeweiligen Betriebsversammlungen an einem Prozess der Modifikation und Realisierung des Demokratischen Plans und der Verwaltung ihres eigenen Betriebs teilnehmen.

 

So würde der demokratische Planungsprozess ein Prozess sein, bei dem kontinuierlich Informationen von den Gemeindeversammlungen zum Betrieb und wieder zurück fließen. Und schließlich könnte die Verwaltung des demotischen Unternehmens von einer Art Aufsichtsrat überwacht werden, der von der Betriebsversammlung zu ernennen wäre. Zu diesem Aufsichtsrat sollten dann auch Personen mit dem entsprechenden Fachwissen gehören, während seine Mitglieder von der Betriebsversammlung jederzeit abberufen werden könnten und außerdem unter der indirekten Kontrolle der Bürgerversammlungen stehen würden. Die Betriebsversammlungen würden so einerseits als Institutionen der „Demokratie im gesellschaftlichen Bereich“ und andererseits, angesichts ihrer Rolle im demokratischen Planungsprozess, als Grundbausteine der wirtschaftlichen Demokratie fungieren. Von daher bilden die Betriebsversammlungen zusammen mit den Gemeindeversammlungen den Kern der umfassenden Demokratie.

 

Die Voraussetzungen wirtschaftlicher Demokratie: die Ressourcenallokation auf föderaler Ebene

 

Während aus dem Prinzip der Selbstversorgung folgt, dass viele Entscheidungen auf Gemeindeebene getroffen werden können, müssen dennoch viele Probleme auf der regionalen/nationalen/übernationalen Ebene gelöst werden:

  • Probleme, die sich aus der ungleiche Verteilung der Energieversorgung, der natürlichen Ressourcen und dem daraus folgenden ungleichen Einkommen der föderierten Gemeinden ergeben.

  • Probleme, die durch den Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen einzelnen Bürgern verschiedener Gemeinden oder zwischen den föderierten Gemeinschaften selbst entstehen.

  • Probleme, die durch die über den lokalen Bereich hinausgehenden Umweltfolgen von Produktion und Konsum entstehen.

  • Probleme von Transport und Kommunikation.

  • Probleme, die sich aus der freien Mobilität der Arbeit zwischen den Gemeinschaften ergeben, und schließlich.

  • Probleme des Technologietransfers.

 

Abgesehen von den Koordinationsproblemen stellt sich aber auch noch die Frage des Mechanismus, der sowohl innerhalb der Gemeinde als auch zwischen den Gemeinden für eine gerechte und effiziente Ressourcenallokation sorgen könnte. Dieses Problem ist gerade heute entscheidend wichtig, da sich herausgestellt hat, dass alle beiden Mechanismen, die historisch zur Lösung dieses Problems entwickelt wurden (nämlich der Marktmechanismus und der zentrale Plan), kläglich gescheitert sind.

 

Der Marktmechanismus

 

Der Markt ist ein automatischer Mechanismus, durch den Adam Smiths unsichtbare Hand auf angeblich rationale Art die Ressourcen zuweist. Nach der Hypothese der liberalen Ökonomen führt die freie Kombination individueller rationaler Entscheidungen letztlich zu einer Allokation, die vom Standpunkt der Gesamtgesellschaft aus rational ist.. Ferner wird behauptet, der Marktmechanismus sei zugleich auch das wirtschaftlichste Informationssystem und liefere die richtigen Anreize zur Sicherstellung einer effizienten Dezentralisierung der Ressourcen. Aus all diesen liberalen Hypothesen folgt, dass der Marktmechanismus die beste Garantie für eine rationale Ressourcenallokation ist, ohne dabei die Autonomie des Einzelnen einzuschränken.

 

Diese Hypothesen sind allerdings nur unter gewissen sehr strengen Voraus­setzungen gültig. Aufgrund dieser Tatsache gehen gerade die Eigenschaften des Marktes, die zu einer rationalen Ressourcenallokation führen sollen, in der Regel verloren, sowie der mythische Zustand des Gleichgewichts eine Störung erfährt. Heute gibt sogar einer der Pioniere der Theorie des allgemeinen Gleichgewichts, der Nobelpreisträger Kenneth Arrow, das Scheitern seiner Bemühungen zu, eine Theorie zu entwickeln, die die Fähigkeit einer Markwirtschaft zeigt, ein allgemeinen Gleichgewichts herzustellen, und nach einer Diskussion diverser unlösbarer technischer Probleme einer solchen Theorie unterstreicht er, dass „die bekannteste Falsifikation die wiederkehrende und mittlerweile chronische Arbeitslosigkeit ist, ein Phänomen, das in glattem Widerspruch zum Gleichgewicht steht“.[52] Oder wie Will Hutton es ausdrückt: „Der Hauptpfeiler der Theorie der freien Marktwirtschaft - wonach unregulierte Märkte ganz von allein für alle Marktteilnehmer die bestmöglichen Resultate zeitigen - hat sich nachweislich als Unsinn herausgestellt.“[53] Und natürlich haben liberale Ökonomen wie Keynes schon vor langem gezeigt, dass der Markt ein krisenanfälliges System ist, das nicht in der Lage ist, die volle Nutzung der Ressourcen, besonders der Ressource Arbeitskraft, sicherzustellen. Und schließlich zeigt die oben diskutierte inhärente Tendenz der Marktwirtschaft zur Konzentration wirtschaftlicher Macht und zur Herstellung von Ungleichheit, dass ein krisenanfälliges System, das nur durch Geld gedeckte Bedürfnisse (die keineswegs unbedingt mit menschlichen Grundbedürfnissen identisch sind) berücksichtigt, zwangsläufig eine fehlgeleitete Form der Entwicklung mit sich bringt. Daher ist das, was die orthodoxen Ökonomen, die die Markwirtschaft und ihre angebliche „Überlegenheit“ als unerschütterliche Gegebenheit voraussetzen, tun, in Wirklichkeit eine Rationalisierung von Ungleichheit und Armut sowie des Elends von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zugunsten der privilegierten Minderheiten, zu denen auch sie selber gehören.

Die Wahlfreiheit, die das System der Marktwirtschaft angeblich garantiert, bedeutet in Wirklichkeit „Rationierung durch den Geldbeutel“. Tatsächlich haben die Bürger in einer Marktwirtschaft keine freie Wahl, weder als Konsumenten noch als Produzenten: als Konsumenten nicht, weil ihre Wahl durch ihr Einkommen und Vermögen beschränkt ist, als Produzenten nicht, weil die „Entscheidungen“ darüber, was und wie produziert werden soll, ihnen vom Markt genommen werden. Ferner unterliegen die Produzenten in hohem Maß der Beschränkung ihrer Kaufkraft, da ihr Zugang zu produktiven Ressourcen und daher ihre Produktivität von ihren finanziellen Möglichkeiten abhängt. Wenn beispielsweise die Produktivität eines indischen Bauern viel niedriger ist als die eines englischen oder amerikanischen Bauern, liegt das einerseits am jeweiligen Zugang zu Düngern, Maschinen usw.,[54] und andererseits an unterschiedlichen Bildungs- und technologischen Möglichkeiten, die ihrerseits wieder auf Einkommensunterschiede zurückgehen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist jedoch erst seit sehr kurzer Zeit eine Funktion der finanziellen Möglichkeiten, nämlich seitdem der Zugang zu produktiven Ressourcen exklusiv über den Markt geregelt ist. Mit der Durchdringung sämtlicher Bereiche menschlicher Tätigkeit durch Marktbeziehungen und der Zerstörung der lokalen Selbstversorgung auf der ganzen Welt wurde jeder Zugang zu produktiven Ressourcen zu einer Frage der Kaufkraft. So ist es kein Wunder, dass heute ein Fünftel der Erdbevölkerung für vier Fünftel des weltweiten jährlichen Ressourcenverbrauchs verantwortlich ist.[55]

Die wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen, die eine Gesellschaft treffen muss (nämlich, was, wie und für wen produziert werden soll), basieren in einem marktwirtschaftlichen System entscheidend auf der Kaufkraft jener Einkommensgruppen, die über Geld als Mittel zur Durchsetzung ihrer Bedürfnisse verfügen. Es besteht ein beständiger Wettbewerb um Güter, Dienstleistungen und Ressourcen, und diejenigen mit dem dicksten Geldbeutel sind die Gewinner. Sowie die Kaufkraft einmal ungleich verteilt ist, ist das marktwirtschaftliche System also entgegen der liberalen Mythologie das schlechteste System der Ressourcenallokation. Bei Vorhandensein von Ungleichheit, die wiederum das unvermeidliche Ergebnis der Dynamik der Marktwirtschaft ist, wird der fundamentale Widerspruch in der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse durch den Markt offenbar: nämlich der Widerspruch zwischen der potentiellen Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse der Gesamtbevölkerung und der tatsächlichen Befriedigung der durch Geld gedeckten Wünsche eines Teils der Bevölkerung. So wundert es wenig, dass orthodoxe Ökonomen von der bequemen Annahme einer „gegebenen Einkommensverteilung“ ausgehen, wenn sie zeigen wollen, dass die beste Form der Ressourcenallokation die ist, die das marktwirtschaftliche System zustandebringt! So basiert die berühmte Paretosche Optimalitätsanalyse, die die Fähigkeit des Markmechanismus zeigt,  eine optimale Ressourcenallokation zu garantieren, auf der Voraussetzung einer jeweils gegebenen Einkommensverteilung.[56]

Wie wir im ersten Teil des Buches gesehen haben, finden wir in der heutigen neoliberalen Phase der Ausbreitung der Marktwirtschaft ein rasches Wachstum der Ungleichheit sowohl zwischen den Ländern - also Nord und Süd - als auch innerhalb der Länder, d.h. zwischen den dort lebenden Menschen. Angesichts des oben beschriebenen „Auktions-Mechanismus“ des Marktes richtet sich das System immer ausschließlicher an den Bedürfnisse des „neuen“ Nordens aus. So sorgt die Ungleichheit für die Produktion und Reproduktion verzerrter Formen der Entwicklung. Darüber hinaus ist Ungleichheit ein wichtiger Grund, weshalb das ökologisch destruktive Ziels des Wachstums von den Eliten der ganzen Welt enthusiastisch übernommen wird, da die ökonomische These vom Nachuntendurchsickern wirtschaftlicher Vorteile ja gerade das Ziel verfolgt, den sozialen Zusammenhalt einer hochgradig durch Ungleichheit gekennzeichneten Gesellschaft nicht durch Neuaufteilung des „Kuchens“, sondern durch Expansion zu sichern.

Der Mechanismus der zentralen Planung

 

Im Gegensatz zum Markt mit seinem automatischen Charakter ist die Planung ein bewußt kontrollierter Mechanismus der Ressourcenallokation. Sowohl in theoretischer Hinsicht als auch in der historischen Erfahrung gibt es eine Vielfalt von Formen der Planung. Abgesehen vom Fall der Vorgabe-Planung, d.h., der Planung innerhalb eines Systems der Marktwirtschaft (wie bei der Planung in Frankreich nach dem Krieg), die im wesentlich eine Form des makroökonomischen Managements in einer gemischten Wirtschaft ist, kann Planung entweder zentral oder dezentral sein. Eine extreme Form zentraler Planung war das stalinistische Modell, bei dem das Planungsbüro (mit anderen Worten, die Bürokraten/Technokraten der sowjetischen Elite) den Output, seine Zusammensetzung, die zu verwendenden Produktionsmethoden, die Verteilung usw. festlegte und von oben nach unten Befehle ausgab. Die zentrale Planung führt nicht nur zu Irrationalitäten (die schließlich in ihrem Zusammenbruch endeten), und sie ist nicht nur ineffektiv bei der Bedürfnisbefriedigung, sondern außerdem auch noch äußerst undemokratisch. Dennoch hat die zentrale Planung, wie wir im ersten Teil gesehen haben, sichere Arbeitsplätze und eine verbesserte Einkommensverteilung (wenn auch keine akzeptablere Verteilung der Macht) erreicht als viele andere Länder von vergleichbarem Entwicklungsgrad.

 

Nach Klarwerden des Scheiterns der zentralen Planwirtschaft schlugen marxistische Ökonomen wie Ernest Mandel[57] eine Form „demokratisch zentralisierter Planung“ vor, die in einer Übergangsphase eine Kombination von Arbeiterselbstverwaltung und Staat vorsieht, bis letzterer auf klassisch marxistische Art schließlich verschwindet. Aber diese Planungsform krankt immer noch daran, dass sie die Dialektik des Etatismus außer acht läßt. Mit anderen Worten, sie ignoriert die Tatsache, daß die Bürokraten, die den Staatsapparat kontrollieren, innerhalb eines solchen institutionellen Rahmens nicht an der formellen oder informellen Institutionalisierung wichtiger Privilegien und der Schaffung mächtiger Interessen gehindert werden können, die am Ende die Organe der Selbstverwaltung zersetzen, statt sich ihrerseits in ihnen aufzulösen.

 

Heute versuchen die Marxisten, den Sozialismus - im Sinne eines gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln - von der Planung zu trennen und verschiedene Arten eines „sozialen Marktes“ oder einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ vorzuschlagen, wie wir sie in Kapitel 2 gesehen haben. Einige von ihnen gehen wie die Herausgeber der französischen marxistischen Zeitschrift Marx Actuel noch weiter und stellen jetzt eine direkte Verbindung zwischen der zentralen Planung in Osteuropa, die ihrer Meinung nach mit der Abschaffung des Markes „unvermeidlich“ wurde, und dem totalitären Charakter der dortigen Regimes her. Für sie geht es beim „sozialistischen Projekt nicht um die Abschaffung der Warenbeziehungen, sondern um die Beseitigung des Klassenverhältnisses“.[58] So kommen moderne Marxisten, indem sie für eine Synthese der Marktwirtschaft samt all ihrer Begleiterscheinungen mit der „gesellschaftlichen“ Kontrolle der Produktionsmittel (die im Rahmen des Marktes noch stärker als in einer zentral geplanten Wirtschaft Sonderinteressen dienen würde) eintreten, zu Vorschlägen, die die übelsten Elemente der Marktwirtschaft und des „Sozialismus“ miteinander vereinen!

 

Partizipatorische Planung und Wahlfreiheit

 

Ein demokratischer Planungsmechanismus muss daher dezentralisiert sein. Eine offensichtliche Möglichkeit der Dezentralisierung ist die eine oder andere Form einer „Synthese“ von Markt und Planung. Diese Art von Ansatz wird von den Anhängern der Zivilgesellschaft vertreten. Für einen Verfechter dieses Ansatzes, der nach „neuen Formen der Demokratie“ sucht, ist die wirkliche Frage in bezug auf die wirtschaftliche Demokratie die, ob „es Mechanismen der wirtschaftlichen Koordination und Regulation gibt, die ein Element des Wettbewerbs zwischen selbstverwalteten Unternehmen zulassen, aber gleichzeitig aus demokratischen Prozessen in der Gesamtgesellschaft resultierende soziale und umweltpolitische Ziele im Hinblick auf die Wirtschaft fördern“.[59] Aber was der Autor mit „demokratischen Prozessen“ meint, hat nichts mit politischer und wirtschaftlicher Demokratie, wie sie im vorliegenden Buch definiert werden, zu tun. Wie aus den Lobgesängen des Buchs auf die „neuen wirtschaftlichen Netze“ (Gewerkschaftskomitees, Gesundheits- und Gesundheitsschutzprojekte, Initiativen für sozial verantwortlichen fairen Handel, Lesben- und Schwulenbewegung usw.) klar wird, ist damit nichts weiter gemeint als die „Sozialisierung des Marktes durch Mechanismen, die sich statt auf den Staat auf unabhängige demokratische Verbände zur Weitergabe praktischen Wissens stützen“.[60]

 

Die hinter diesem Vorschlag stehende Logik besagt, dass jede Mangelgesellschaft einem Problem der Demokratisierung des Wissens - besonders des ökonomischen Wissens, dem also, was Ökonomen das Problem des „Informationsflusses“ nennen - gegenübersteht. Hayek, Mises und andere rechtsgerichtete Ökonomen argumentieren seit langem, eine geplante sozialistische Wirtschaft sei unmöglich, da der Charakter ökonomischen Wissens es angeblich verhindert, dass ein Verwaltungssystem alle Informationen erhalten kann, die für effiziente wirtschaftliche Entscheidungen notwendig sind. Oder wie Hayek es ausdrückte: „Das wirtschaftliche Problem der Gesellschaft ist nicht einfach ein Problem, wie man ‚gegebene’ Ressourcen verteilen soll ... es ist ein Problem der Nutzung von Wissen, das aber niemand in seiner Gesamtheit haben kann.“[61] Er schließt daraus, dass nur ein unregulierter Markt vermittels eines Preismechanismus, der die richtigen Signale über Mangelzustände und Bedürfnisse liefert, effizient für die erforderliche Information sorgen könnte. Tatsächlich ist es laut Hayek diese angebliche Effizienz des freien Marktes, die den Markt zu einem „spontanen“ Produkt der Zivilisation werden ließ.

 

Angesichts dessen, was im ersten Teil dieses Buches gesagt wurde, ist es hier nicht nötig, sich mit den historischen Verdrehungen Hayeks[62] hinsichtlich der „spontanen“ Entwicklung der Märkte oder der lächerlichen Annahme abzugeben, dass die Preise durch staatliche Regulationen und gesellschaftliche Kontrollen und nicht durch den eingebauten Trend jeder Marktwirtschaft zur Konzentration wirtschaftlicher Macht verzerrt werden, der dann seinerseits nur noch durch gesellschaftliche Kontrollen gezügelt werden kann. Wenn, wie ich zu zeigen versucht habe, sowohl die zentrale Planung als auch die Marktwirtschaft unvermeidlich zu einer Konzentration von Macht führen, kann weder die eine noch die andere die Art von Informationsfluss und Anreizen hervorbringen, die für das optimale Funktionieren jedes wirtschaftlichen Systems nötig sind. Daher können diese Probleme nur durch echt demokratische Prozesse, wie sie Bestandteileiner einer umfassenden Demokratie sind, effizient gelöst werden.

 

Dennoch fällt denjenigen „zivilgesellschaftlichen“ sozialistischen Etatisten, die das Problem der Demokratisierung des Wissens sehen, nicht mehr ein als die Bildung vom Staat unabhängiger demokratischer Organisationen und die „Sozialisierung“ des Marktes „durch einen öffentlichen Preisbildungsprozess, bei dem soziale und umweltpolitische Erwägungen eine zentrale Rolle spielen würden“.[63] Unter Missachtung sämtlicher geschichtlicher Erfahrungen schlagen sie also immer noch die „Vergesellschaftung“ der Marktwirtschaft vor! Aber wie ich weiter unten zeigen werde, ist es möglich, sich einen wahrhaft demokratischen wirtschaftlichen Entscheidungsprozess und damit ein System vorzustellen, das umfassende Demokratie und Planung auf der einen und Wahlfreiheit auf der anderen Seite miteinander kombiniert. Aber eine solches System basiert zwangsläufig auf der Abwesenheit dessen, was die Anhänger der „Zivilgesellschaft“ als gegeben annehmen: der Marktwirtschaft und der „staatlichen“ Demokratie.

 

Unter den Vorschlägen der libertär-sozialistischen Linken gibt es im großen und ganzen zwei Varianten dezentralisierter Planung, die eine Synthese von Demokratie und Planung versuchen: zum einen arbeiterorientierte Modelle und zum andern die gemeindeorientierten Modelle. Zu den arbeiterorientierten Modelle lässt sich sagen, dass sie unter den heutigen Bedingungen keine sinnvolle alternative Vision der Gesellschaft darstellen: erstens, weil solche Modelle in der Regel nur ein Sonderinteresse - das der Beschäftigten des Betriebs - zum Ausdruck bringen statt die gemeinsamen Interessen der Bürger einer Gemeinde, und zweitens, weil die Relevanz derartiger arbeiterorientierter Modelle (von denen das von Castoriadis[64] vorgeschlagenen Modell der Arbeiterräte die vielleicht detaillierteste Variante ist) unter den heutigen Bedingungen einer postindustriellen Gesellschaft nur noch marginal ist. Daher bieten gemeindeorientierte Modelle vielleicht den besten Rahmen für eine Integration von Arbeiterkontrolle und Gemeindekontrolle, von besonderen und allgemeinen Interessen, von individueller und sozialer Autonomie.

 

Es gibt jedoch den neueren Vorschlag einer „partizipatorischen“ Planung, der zwar nicht auf einem gemeindeorientierten Modell basiert, aber mit einigem Recht für sich beanspruchen kann, allgemeine und nicht Sonderinteressen zu repräsentieren. So haben Michael Albert und Robin Hahnel[65] ein detailliertes Modell partizipatorischer Planung vorgelegt, in dem zwei Arten von Räten, nämlich Arbeiterräte und Konsumentenräte, über die Ressourcenallokation entscheiden. Diese Räte, die auf verschiedenen Ebenen (vom Wohnviertel bis zur nationalen Ebene) fungieren, entscheiden über die Produktion bzw. den Konsum. Sie tun dies mittels eines komplexen Planungsprozesses, der damit beginnt, dass der einzelne Bürger individuelle Arbeits- und Konsumpläne formuliert, die dann zusammengefasst und durch eine Serie von „Neudurchläufen“ aneinander angepasst werden.

 

Während die partizipatorische Planung ein bedeutender Fortschritt gegenüber den gängigen Vorschlägen zur sozialistischen Planung ist und tatsächlich für ein hohes Maß an Dezentralisierung sorgt, gibt es doch ernste Vorbehalte im Hinblick auf ihre Durchführbarkeit und auf die Frage, ob sie überhaupt wünschenswert ist. Was die Durchführbarkeit angeht, jede andere Form nicht marktbasierter demokratischer Planung ebenfalls von dem Problem betroffen, das sich hier ergibt. Jede solche Planung benötigt einen willkürlichen und ineffizienten Mechanismus, um die zukünftigen Bedürfnisse zu ermitteln - es handelt sich um das Problem des Informationsflusses, ein Problem, das bei anderen als den Grundbedürfnisse eine besonders gravierende Rolle spielt. Wie Paul Auerbach et al. feststellen, steht die von Anhängern der Planung einschließlich Alberts und Hahnels vorgebracht Vorstellung, man könne die Bedürfnisse der Menschen ganz leicht ermitteln, „indem man sie einfach fragt, was sie wollen“, „in totalem Widerspruch zu den jahrzehntelangen Erfahrungen sowohl der osteuropäischen Planer als auch der Marketingstrategen des Westens“.[66] Noch wichtiger sind die Vorbehalte bezüglich der Frage, ob ein solches Modell wünschenswert ist. Es führt nicht nur zu einer hochgradig bürokratischen Struktur, die bereits treffend als „partizipatorische Bürokratie“ bezeichnet worden ist und zusammen mit der Vielfalt vorgeschlagener Kontrollen zur Beschränkung des Konsumrechts der Bürger „die Grundlage für die Weiterexistenz oder die Wiederauferstehung des Staates bilden würden“,[67] sondern es bringt meiner Ansicht nach auch eine sehr ernste Beschränkung der individuellen Autonomie im allgemeinen und der Wahlfreiheit im besonderen mit sich.

 

Das wird u.a. aus den Prinzipien deutlich, die laut Albert und Hahnel für den Entscheidungsprozess bezüglich der Konsumption maßgeblich sein sollten. Ein wichtiges der drei von ihnen erwähnten Prinzipien ist dasjenige, nach dem „Entscheidungen darüber, was eine Person konsumieren möchte, Gegenstand kollektiver Kritik [Hervorhebung i.O.] durch andere Mitglieder des Rats sein werden, wobei es spezifische Garantien für die Wahrung individueller Freiheiten und der Privat­sphäre gibt“.[68] Auch wenn die Autoren mit dem Vorbehalt der „Garantien“ offensichtlich versuchen, den Eindruck eines maoistischen Totalitarismus, den dieses Prinzip erweckt, zu zerstreuen, bleibt die Bedeutung des Prinzips doch hinreichend klar. Der Grund für diesen schleichenden Totalitarismus ist meiner Meinung nach in der Tatsache zu suchen, dass das Modell in keiner Weise zwischen Grundbedürfnissen, die natürlich in vollem Maß erfüllt werden müssen, und weitergehenden Bedürfnissen, die in einer demokratischen Gesellschaft der Wahlfreiheit des Bürgers überlassen bleiben müssen, unterscheidet. Das Fehlen dieser wichtige Unterscheidung führt dazu, dass die Autoren am Ende ein System befürworten, in dem Konsum, Produktion und Arbeit jeden Bürgers in letzter Instanz mit dem „Durchschnitt“ übereinstimmen müssen („Wenn eine Person überdurchschnittlich viel verlangt hat, könnte man ihr Fragen stellen, und wenn die Antworten dann nicht überzeugend ausfielen, würde man sie bitten, ihre Ansprüche zurückzuschrauben.“[69])

 

Unter den gemeindeorientierten Modellen ist der wichtigste jüngere Vorschlag für eine gemeindebasierte Gesellschaft der des föderalen Kommunalismus. Die Vorschläge für einen föderalen Kommunalismus bieten jedoch keinen Mechanismus der Ressourcenallokation, der im institutionellen Rahmen einer Wirtschaft ohne Staat, Geld und Markt und unter Bedingungen der Knappheit sowohl die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Bürger als auch die Wahlfreiheit sicherstellen würde. Föderal-kommuna­listische Vorschläge scheinen im allgemeinen von einer Überflussgesellschaft auszugehen, in der ein Allokationsmechanismus nicht nötig ist. So hebt Murray Bookchin hervor, dass

eine föderale ökologische Gesellschaft auf Teilen orientiert wäre und auf dem Genuss basieren würde, den es bereitet, entsprechend ihren Bedürfnissen unter den Gemeinschaften zu verteilen, und keine Gesellschaft sein würde, in der „kooperative“ kapitalistische Gemeinschaften sich in den Sumpf von „ich gebe, damit du gibst“ Tauschbeziehungen hineinziehen lassen.[70]

Auf der anderen Seite scheinen einige Unterstützer des föderalen Kommunalismus eine „Mangelgesellschaft“ vorauszusetzen und unterstützen einen auf demokratischer Planung basierenden Allokationsmechanismus. So meint etwa Howard Hawkins:

Während die Selbstverwaltung des täglichen Arbeitsprozesses durch die Arbeiter jedes Betriebs bestätigt werden sollte, sollten die Grundzüge der Wirtschaftspolitik im Hinblick auf Bedürfnisse, Verteilung, Allokation des Überschusses, Technologie, Größenrahmen und Ökologie von allen Bürgern entschieden werden. Kurz, die Arbeiterkontrolle sollte in den breiteren Kontext der Gemeindekontrolle gestellt werden und dieser letzten Endes rechenschaftspflichtig sein.[71]

Während ein solches Modell vielleicht eine Synthese von Demokratie und Planung sicherstellt, sorgt es aber nicht unbedingt für Wahlfreiheit. Tatsächlich liefern sämtliche Modelle demokratischer Planung (die arbeiterorientierte ebenso wie die gemeindeorientierte Variante), die keinerlei Synthese von Markt- und Planungsmechanismen vorsehen, auch kein System für eine effektive Ausübung der Wahlfreiheit. Es stellt sich daher die Frage, wie wir eine Synthese von demokratischer Planung und Wahlfreiheit erreichen können, ohne auf einen wirklichen Markt zurückzugreifen, der ja unvermeidlich zu all den mit der Ressourcenallokation durch den Markt verbundenen Problemen führen würde. Im nächsten Abschnitt skizziere ich ein Modell, das die Vorteile des Marktes (in Form eines artifiziellen „Marktes“) mit denen der Planung verbindet.

 

Skizze eines Modells wirtschaftlicher Demokratie


 

Das im folgenden vorgeschlagene System soll zwei Ziele ereichen, nämlich: (a) die Erfüllung der Grundbedürfnisse aller Bürger - was erfordert, dass die makroökonomischen Grundsatzentscheidungen demokratisch getroffen wer­den müssen, und (b) die Sicherung der Wahlfreiheit - was erfordert, das der einzelne Bürger wichtige Entscheidungen fällt, die sein Leben beeinflussen (welche Arbeit er leistet, was er konsumiert usw.).

 

Sowohl die makroökonomischen Entscheidungen als auch die Entscheidungen des einzelnen Bürgers werden in diesem Modell durch eine Kombination von demokratischer Planung und einem künstlichen „Markt“ realisiert. Aber während bei den „Makro“-Entscheidungen der Akzent auf der Planung liegen würde, würde für die individuellen Entscheidungen das Gegenteil gelten und der Akzent statt dessen auf dem künstlichen „Markt“ liegen.

 

Dieses System besteht also aus zwei grundlegenden Elementen:

  • einem „Markt“-Element, das die Schaffung eines künstlichen „Marktes“ vorsieht, der für eine wirkliche Wahlfreiheit sorgt, ohne zu den negativen Erscheinungen zu führen, die mit realen Märkten verbunden sind.

  • einem Planungselement, das die Schaffung einer Rückkoppelung zwischen den demokratischen Planungen der Betriebsversammlungen, der Gemeinde­versammlungen und der föderalen Versammlung vorsieht.

 

Der wesentlichste Zug dieses Modells, der es in grundlegender Weise von sozialistischen Planungsmodellen unterscheidet, ist, dass es ausdrücklich von einer Wirtschaft ohne Staat, Geld und Markt ausgeht, was der Institutionalisierung von Privilegien einiger weniger Sektoren der Gesellschaft sowie der privaten Akkumulation von Reichtum einen Riegel vorschiebt, ohne sich deshalb auf ein mythisches Stadium des Überflusses, in dem es keinen Mangel mehr gibt, berufen zu müssen. Konzise ausgedrückt erfolgt dabei die Ressourcenallokation erstens auf Basis der kollektiven Entscheidungen der Bürger, wie sie in den Plänen der Gemeinden und der Föderation artikuliert werden, und zweitens auf Basis der individuellen Entscheidungen der Bürger, die durch ein Gutscheinsystem ihren Ausdruck finden.

 

Das Modell geht von folgenden Grundannahmen aus:

  • die Gemeindeversammlung ist in jeder selbstversorgenden Gemeinschaft die Körperschaft, die letztlich über die einzuschlagende Politik entscheidet;

  • die Gemeinden werden von regionalen und föderalen Verwaltungsräten koordiniert, die sich aus jederzeit abberufbaren Delegierten mit rotierendem und imperativem Mandat zusammensetzen  (regionale Versammlungen, föderale Versammlung);

  • die produktiven Ressourcen gehören jeder Gemeinde (demos) und werden den Beschäftigten der Produktionseinheiten über einen langfristigen Vertrag überlassen, und

  • das Ziel der Produktion ist nicht Wachstum, sondern die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Gemeinde sowie der darüber hinausgehenden Bedürfnisse, die von den Mitgliedern der Gemeinde geäußert werden und für die sie Mehrarbeit zu leisten bereit sind.

 

Das allgemeine Kriterium für die Ressourcenallokation ist nicht eine Effizienz, wie sie heute in einem beschränkt technisch-ökonomischen Sinn definiert wird. Effizienz sollte so neu definiert werden, dass damit Effektivität in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und nicht nur die Befriedigung von Wünschen gemeint ist, die durch Geld gedeckt sind. Dies wirft jedoch weitere Fragen über die Bedeutung von Bedürfnissen, die Existenz einer Hierarchie von Bedürfnissen und über schließlich die Frage auf, wie wirkliche Wahlfreiheit im Prozess der Bedürfnisbefriedigung sichergestellt werden kann.

 

Was die Bedeutung von Bedürfnissen betrifft, ist es wichtig, eine klare Unterscheidung zwischen Grundbedürfnissen und darüber hinausgehenden Bedürfnissen sowie zwischen Bedürfnissen und Bedürfnisstillern,[72] das heißt, der Form oder den Mitteln, durch die diese Bedürfnisse befriedigt werden, zu treffen.

 

Was erstens die Unterscheidung zwischen Grund- und sonstigen Bedürfnissen betrifft, ist klar, dass es sich bei dem Gerede von der angeblich im Westen bestehenden Wahlfreiheit nur um leere Rhetorik handelt. Im Rahmen der Marktwirtschaft kann nur ein kleiner Teil der Bevölkerung der Erde umfassend seine tatsächlichen oder imaginären „Bedürfnisse“ befriedigen, wobei gleichzeitig knappe Ressourcen verzehrt und die Ökosysteme geschädigt werden, während die große Mehrheit der Menschen des Planeten nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen kann. Aber von Wahlfreiheit kann keine Rede sein, solange noch nicht einmal die Grundbedürfnisse zufriedengestellt sind. Was jedoch ein „Grund“-Bedürfnis ist und wie es am besten erfüllt werden kann, kann niemals auf „objektive“ Weise definiert werden. Daher besteht von dem demokratischen Standpunkt aus, den das vorliegende Buch vertritt, keine Notwendigkeit, sich an den Debatten zwischen universalistischen und relativistischen Positionen zur Frage der Bedürfnisse zu beteiligen.[73] Im Rahmen einer umfassenden Demokratie kann die Frage, was ein Bedürfnis - ein Grundbedürfnis oder ein sonstiges Bedürfnis - ist, nur demokratisch, durch die Bürger selbst, beantwortet werden. Daher wird die Unterscheidung zwischen Grundbedürfnissen und sonstigen Bedürfnissen hier deshalb eingeführt, weil diese beiden Sektoren auf der Basis verschiedener Prinzipien funktionieren sollen. Der Sektor für die „Grundbedürfnisse“ funktioniert auf der Basis des kommunistischen Prinzips „Jede/r nach seinen/ihren Fähigkeiten, jedem/r nach seinen/ihren Bedürfnissen“. Andererseits sieht das Modell vor, dass der Sektor für die „Nicht-Grund­bedürfnisse“ auf der Basis eines künstlichen „Marktes“ funktioniert, der Angebot und Nachfrage auf eine Weise miteinander in Übereinstimmung bringt, die die Souveränität sowohl der Konsumenten als auch der Produzenten sicherstellt.

Was zweitens die Unterscheidung zwischen Bedürfnissen und Mitteln zu ihrer Befriedigung betrifft, so verwenden wir sie hier nicht aufgrund des üblichen Arguments, nachdem sie uns erlaubt anzunehmen, die Grundbedürfnisse seien endlich, gering an der Zahl und klassifizierbar, da sie in allen Kulturen und historischen Perioden gleich blieben. Es mag zwar stimmen, dass sich im Lauf der Zeit und von Ort zu Ort nicht die Bedürfnisse selbst, sondern die Mittel zu ihrer Befriedigung verändern, aber uns soll diese Unterscheidung hier dazu dienen, um die Bedeutung der Wahlfreiheit klarer zu machen.

Heute kann eine Ware oder Dienstleistung zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse sogar einschließlich der Grundbedürfnisse (wie z.B. im Fall verschiedener Sorten von Kleidung usw.) in der Regel auf mehrere Arten produziert werden. Also sollte das Prinzip der Wahlfreiheit sowohl für Grundbedürfnisse als auch für andere Bedürfnisse gelten. Tatsächlich werden in einer umfassenden Demokratie Bürgerversammlungen regelmäßig Prioritätsentscheidungen über die Quantität und Qualität von Gütern zur Befriedigung von Grundbedürfnissen fassen. Aber was das beste Mittel zur Befriedigung jedes einzelnen Bedürfnisses ist, muss von jedem Bürger selbst entschieden werden, indem er von seiner Wahlfreiheit Gebrauch macht.

Aber wie können wir einen effektiven Informationsfluss in bezug auf individuelle Bedürfnisse herstellen? Die Idee, die ich hier untersuche, sieht die Kombination eines demokratischen Planungsprozesses mit einem System von Gutscheinen vor, die zur Befriedigung von Grund- und anderen Bedürfnissen genutzt werden könnten. So könnten wir uns die Etablierung eines Systems vorstellen, in dem es zwei Haupttypen von Gutscheinen gibt: Basis-Gutscheine (BGs) und Nicht-Basis-Gutscheine bzw. Extra-Gutschei­ne (EGs), die beide auf personengebundener Basis ausgegeben werden, so dass sie im Unterschied zu Geld nicht als allgemeines Medium des Austauschs und der Anhäufung von Reichtum verwendet werden können.

 

Erfüllung der Grundbedürfnisse aller Bürger der Föderation

 

Basis-Gutscheine werden zur Befriedigung von Grundbedürfnissen verwendet. Diese Gutscheine, die an die Person gebunden sind und namens der Föderation ausgegeben werden, berechtigen jeden Bürger zu einem bestimmten Niveau der Befriedigung jedes besonderen Bedürfnistyps, der sich als „grundlegend“ charakterisieren lässt, aber sie legen keine besondere Art von Mitteln der zur Befriedigung des Bedürfnisses fest, so dass die Wahlfreiheit gesichert wäre. Um hinsichtlich der Befriedigung der Grundbedürfnisse in der gesamten Föderation Einheitlichkeit herzustellen, sollten die Definition dessen, was als Grundbedürfnis gilt und das Maß, in dem es befriedigt werden soll, auf der Basis der Entscheidungen der Gemeindeversammlungen und der verfügbaren Ressourcen der Föderation von der Föderationsversammlung festgelegt werden.

 

Die Gesamtzahl der ausgegebenen BGs wird auf der Basis von Kriterien festgelegt, die Bedingungen von Angebot und Nachfrage auf der Föderationsebene berücksichtigen. Maß und Zusammensetzung der Nachfrage könnten die Planer auf Basis der Einwohnerzahl der Föderation, des Maßes der „Grundbedürfnisse“, zu deren Befriedigung jeder Bürger berechtigt ist, und der „ermittelten Präferenzen“ der Konsumenten hinsichtlich der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung (die an der Zahl der bis dahin für jeden Typ von Bedürfnisstillern verwendeten Gutscheine gemessen wird) abschätzen. Was das Angebot betrifft, könnten die Planer auf Basis technologischer Durchschnittswerte Umfang und Zusammensetzung der Produktion, die benötigten Ressourcen und den von jedem Bürger zu leistenden Arbeitsumfang schätzen. So wird jedes arbeitsfähige Föderationsmitglied eine bestimmte „Mindest“-Zahl von Wochenstunden einem Tätigkeitsbereich eigener Wahl arbeiten müssen, um die Ressourcen zu produzieren, die für die Befriedigung der Grundbedürfnisse in der Föderation nötig sind.

 

Ausgehend von diesen Schätzungen könnten dann Pläne entworfen werden und die Föderationsversammlung könnte auf Basis der Beschlüsse der Gemeindeversammlungen und der Betriebsversammlungen den zu realisierenden Plan und  den entsprechenden Ressourcenumfang auswählen. Jeder Bürger erhält dann entsprechend der besonderen „Bedürfniskategorie“, zu der er gehört, eine bestimmte Anzahl von BGs. So würde die Föderationsversammlung aufgrund vielfältiger Kriterien wie Geschlecht, Alter, speziellen Bedürfnissen usw. für jeden Bevölkerungsteil eine Liste von Kategorien der Grundbedürfnisse aufstellen. In Fällen, in denen diese „objektive“ Zuweisung von BGs ergänzt werden muss, um persönliche Umstände mit einzubeziehen, könnten die Gemeindeversammlungen die entsprechenden Anpassungen vornehmen.

 

Was die Vorsorge für die Bedürfnisse der Alten, der Kinder und der Invaliden betrifft, haben arbeitsunfähige Bürger einen ebenso großen Anspruch auf BGs wie jeder andere Bürger der Föderation. Man könnte sogar sagen, dass das BG-Schema das bisher umfassendste System „sozialer Sicherheit“ überhaupt darstellt, da es sich im Rahmen der von der Föderationsversammlung festgelegten Definition der Grundbedürfnisse auf alle Bedürfnisse der arbeitsunfähigen Bürger erstreckt. Diese Versammlung muss auch entscheiden, ob den arbeitsunfähigen Bürgern außer den BGs auch EGs zugewiesen werden. Was die Kinderfürsorge und ähnliche Dienstleistungen betrifft, sollte sich, falls diese - und das sollten sie natürlich - als Grundbedürfnis klassifiziert werden, jedes Gemeindemitglied an diesen Dienstleistungen beteiligen (und zum Bezug von BGs berechtigt sein). Dies wäre ein wichtiger Schritt zur Etablierung von Demokratie auf der Ebene der Einzelhaushalte.

 

Die Befriedigung der Extra-Bedürfnisse aller Bürger der Gemeinde

 

Extra-Gutscheine werden für die Befriedigung anderer als der Grundbedürfnisse (den nicht essentiellen Konsum) und für die Befriedigung von Grund­bedürfnissen jenseits des von der Föderationsversammlung festgelegten Maßes verwendet. Ebenso wie BGs sind EGs personengebunden, werden aber von den Gemeinden und nicht im Namen der Föderation ausgegeben. Arbeit, die von Bürgern über die „grundlegende“ Anzahl von Stunden hinaus verrichtet wird, ist freiwillig und berechtigt sie zum Erhalt von EGs, die sie dann für die Befriedigung nicht essentieller Bedürfnisse verwenden können. Während es jedoch bei den Grundbedürfnisse keine Diskrepanzen im Maß ihrer Befriedigung geben sollte, so dass die Grundbedürfnisse aller Bürger der Föderation (wie es sich für eine wirtschaftliche Demo­kratie gehört) in gleicher Weise erfüllt werden, gibt es keine ähnlich zwingenden Gründe für eine gleich verteilte Befriedigung nicht grundlegender Bedürfnisse überall in der Föderation. Dass die Gemeinde für die Erfüllung anderer als der Grundbedürfnisse sorgt, ist lediglich eine Erweiterung der individuellen Wahlfreiheit der Bürger. Wenn daher Bürger in einer bestimmten Gemeinde sich entscheiden, mehr - oder weniger - Arbeit für die Produktion nicht grundlegend notwendiger Güter und Dienstleistungen aufzuwenden, sollten sie dazu die Freiheit haben.

 

Das System sollte jedoch so organisiert sein, dass Unterschiede zwischen Gemeinden in ihrem über die Grundversorgung hinausgehenden Konsum nur die Unterschiede im Umfang der aufgewendeten Arbeit widerspiegeln und nicht Unterschiede in den natürlichen Ressourcen der jeweiligen Gebiete. Als wichtiges Leitprinzip sollte gelten, dass der Nutzen aus den natürlichen Ressourcen der gesamten Föderation ungeachtet der geographischen Lage gleichberechtigt unter allen Gemeinden und Regionen aufgeteilt werden sollten. Dieses Prinzip sollte für die Befriedigung sowohl der Grundbedürfnisse als auch der darüber hinausgehenden Bedürfnisse gelten, so dass abgesehen vom Umfang der investierten Arbeit keine regionalen Ungleichheiten entstehen.

 

Mit Fortschreiten der Technik könnte man erwarten, dass die Befriedigung anderer als der Grundbedürfnisse in Zukunft an Bedeutung zunehmen wird - und diese Erwartung wird von statistischen Studien über die Konsumgewohnheiten im Westen bestätigt, die einen verifizierbaren Trend zur Sättigung der Grundbedürfnisse zeigen.[74] Dementsprechend wird die Arbeitsvergütung mehr und mehr die Form von EGs annehmen. Es ergibt sich daher in bezug auf die EGs ein zweifaches wirtschaftliches Problem. Erstens benötigen wir einen gerechten Maßstab zur Vergütung anderer als der notwendigen Arbeit, und zweitens brauchen wir einen Maßstab zur Bewertung von Extra-Gütern bzw. -Dienstleistungen, der für das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage dieser Güter auf Gemeindeebene sorgt. Die klassische (unter anderem von Proudhon und Marx vertretene) Methode, den Wert von Gütern und Dienstleistungen in Arbeitsstunden zu messen, ist abgesehen davon, dass sie alle möglichen Probleme hinsichtlich der Äquivalenz verschiedener Arbeitsarten, der „Konversion“ von Arbeitsinstrumenten und -ausrüstung in Arbeitsstunden usw. schafft, auch mit einer libertären Gesellschaft[75] und, wie ich unten diskutieren werde, mit einem auf Wahlfreiheit basierenden Verteilungssystem grundsätzlich unvereinbar.

 

Um diese Probleme zu vermeiden und außerdem ein Kriterien der Fairness genügendes Gleichgewicht von Nachfrage und Angebot zu erreichen, würde ich daher vorschlagen, eine Art „Rationierungswerte“ einzuführen, um nicht zur Grundversorgung gehörende Güter und Dienstleistungen zu bewerten. Der Markt ist bekanntlich Rationierung über den Preis und stellt damit, wie wir gesehen haben, die ungerechteste Form der Rationierung knapper Ressourcen, da dies im Endeffekt Rationierung durch den Geldbeutel bedeutet. Ich würde statt dessen eine Umkehrung dieses Prozesses vorschlagen, so dass eine Preisbestimmung durch Rationierung stattfindet, bei der die Preise, statt - wie im Marktsystem - Ursache der Rationierung zu sein, zu deren Resultat werden. Während die Preise im Marktsystem letztlich auf ein ungleiches Muster von Einkommen und Vermögen bezogene Knappheiten widerspiegeln und als Rationierungsmechanismus fungieren, der diese Knappheiten mit der ungleichen Verteilung in Übereinstimmung bringt, spiegeln in dem vorgeschlagenen System Preise Knappheiten in Relation zu den Wünschen der Bürger dar und fungieren als Leitlinien für eine demokratische Ressourcenallokation. So könnten Planer, wenn sie den „Rationierungswert“ (und daher den Preis, gemessen an der Zahl von Extra-Gutscheinen) eines besonderen Produkts oder einer besonderen Dienstleistung kalkulieren, die Gesamtzahl der EGs, die im Lauf einer Zeitspanne (z.B. eines Jahres) für den „Kauf“ eines spezifischen Produkts oder einer spezifischen Dienstleistung verwendet wurden, durch den gesamten Output dieser speziellen Ware oder Dienstleistung in derselben Zeit dividieren. Wenn etwa die Föderationsversammlung beschlossen hat, dass ein Handy kein Basisprodukt ist, lässt sich der „Preis“ des Handys  ermitteln, indem man die Zahl der in den letzten 12 Monaten für den „Kauf“ von Handys verwendeten EGs (z.B. 100.000) durch die Gesamtzahl der in derselben Zeitspanne produzierten Handys (sagen wir 1000) dividiert, was einen „Preis“ von 100 EGs pro Handy ergibt.

 

In diesem System könnte allerdings das Problem eines Missverhältnisses zwischen der Nachfrage nach bestimmten nicht als grundlegend betrachteten Gütern bzw. Dienstleistungen und dem entsprechenden Angebot entstehen. So könnten es etwa, um bei dem Beispiel mit den Handys zu bleiben, die Produzenten von Handys und Handyteilen vorziehen, nur eine bestimmte Zahl an Arbeitsstunden über ihre „Basis“-Stunden hinaus in diesem Bereich zu arbeiten. Tatsächlich stünde man schon dann vor diesem Problem, sobald auch nur einige von ihnen keine Extraarbeit leisten wollen, da ihre Tätigkeit ebenso wie viele andere Tätigkeiten in der Gesellschaft von heute in Teamarbeit verrichtet wird. In diesem Fall tritt dann der vorgeschlagene Anpassungsmechanismus mittels künstlicher „Preise“ in Aktion. Der - in EGs ausgedrückte - Preis von Handys wird steigen, was die Nachfrage nach Handys sinken und die Vergütung der Arbeit (mehr dazu im nächsten Abschnitt) steigen lassen wird, was dazu führt, dass diese Tätigkeit mehr Arbeit anzieht. Natürlich sind außer Arbeit auch andere Ressourcen nötig, und die Gemeindeversammlung muss in regelmäßigen Abständen darüber befinden, inwieweit diese Ressourcen verfügbar sind.

 

Dadurch entspricht die Produktion der tatsächlichen Nachfrage, und die Gemeinden sind nicht den bereits diskutierten vielfältigen Irrationalitäten der Marktwirtschaft oder der sozialistischen zentralen Planungssysteme ausgeliefert. Die hier vorgeschlagenen künstlichen „Märkte“ bilden daher den Rahmen, der nötig ist, damit die Planung die tatsächlichen Relationen von Nachfrage und Angebot (in denen sich die realen Präferenzen von Konsumenten und Produzenten widerspiegeln) zum Ausgangspunkt machen kann statt abstrakter Vorstellungen von Bürokraten und Technokraten darüber, was die Bedürfnisse der Gesellschaft sind. Außerdem ermöglicht dieses System, sowohl den aus der „Rationierung durch die Geldbörse“ resultierenden Despotismus des Marktes als auch den Despotismus der Planung, der eine spezifische Rationierung erzwingt (selbst wenn dies durch ein Majoritätsvotum in der Gemeindeversammlung getan wird) zu vermeiden.

 

Natürlich hat das hier vorgeschlagene System nichts mit einer Geldwirtschaft oder der Arbeitstheorie des Wertes zu tun. Sie werden von diesem System explizit ausgeschlossen; die Geldwirtschaft, weil man nicht verhindern kann, dass Geld und jedes andere nicht an die Person gebundene Tauschmittel zur Anhäufung von Reichtum genutzt wird, die Arbeitswerttheorie, weil sie (abgesehen von den weiter oben angesprochen Problemen) nicht für die Wahlfreiheit sorgen kann. Denn obwohl die Arbeitstheorie des Wertes uns (partielle) Hinweise auf die Verfügbarkeit von Ressourcen liefern kann, ist sie als Mittel zur Feststellung der Präferenzen der Konsumenten untauglich. Die Unfähigkeit der zentralen Planwirtschaften Osteuropas, die Präferenzen der Konsumenten zum Ausdruck zu bringen, und die daraus resultierenden, für das System charakteristischen Knappheiten gingen in hohem Maß auf die Tatsache zurück, dass die Planung auf einem Preissystem basierte, das von der Arbeitstheorie des Werts beeinflusst war.[76] Daher kann die Arbeitstheorie des Werts nicht die Grundlage eines Allokations­systems bilden, das nicht nur auf die Befriedigung der Bedürfnisse sondern auch die Sicherung der Souveränität und der Wahlfreiheit der Konsumenten abzielt. Im Gegensatz dazu sieht das hier vorgeschlagene Modell ein System der Rationierung vor, das zum einen auf den ermittelten Präferenzen der Konsumenten und zum andern auf der Verfügbarkeit der Ressourcen beruht.

 

Dennoch fand ein sehr bekannter Ökosozialist erst ganz kürzlich nichts dabei, eine frühere Version der gerade skizzierten Vorschläge[77] mit der Arbeitstheorie des Wertes zu vergleichen, um daraus den Schluss zu ziehen, dass „Fotopoulos ein System von Arbeitsgutscheinen (die in Wirklichkeit eine auf der Arbeitswerttheorie basierende Form von Geld sind) vorschlägt ... das ist keine neue Idee, sondern wurde schon von Skinner (1948) postuliert und in den siebziger Jahren in der amerikanischen Gemeinde ‚Walden II’ ausprobiert“.[78] Diese Aussage zeigt ganz klar, dass der Kritiker keine Ahnung hat, dass ein Geldsystem unvereinbar ist mit einem Gutscheinsystem, in dem - wie ich in meinem Artikel unterstrich - „alle [Gutscheine] auf personengebundener Basis ausgegeben werden, damit sie nicht wie Geld als allgemeines Medium des Tauschs und der Anhäufung von Reichtum verwendet werden können“.[79] Außerdem ist jedem sorgfältigen Leser klar, dass das vorgeschlagene System nichts mit einfältigen Beschreibung einer utopischen Gemeinschaft und dem primitiven Schema von Arbeitskrediten[80] zu tun hat, wie man sie bei Skinner findet - einem Schema, in dem Wahlfreiheit, die Aufteilung der Bedürfnisse in grundlegende und nicht grundlegende und vieles andere mehr gar nicht vorkommen. Und schließlich kann nur ein grobes Missverständnis meiner Vorstellungen über wirtschaftliche Demokratie jemanden dazu veranlassen, Ähnlichkeiten zwischen ihnen und dem hierarchischen Schema von Walden II zu finden, das dereinst von Skinner propagiert wurde, den Noam Chomsky ganz zurecht als „Bahnbrecher des totalitären Denkens“ bezeichnet hat, der „wegen seines Eintretens für eine straff gelenkte gesellschaftliche Umgebung gelobt wird“.[81]

 

Allokation der Arbeit

 

Das vorgeschlagene System der Allokation von Arbeit basiert auf der grundlegenden Unterscheidung, die wir oben in Bezug auf Grundbedürfnisse und Nicht-Grundbedürfnisse getroffen haben.

 

Allokation der Arbeit im Sektor für Grundbedürfnisse

 

Wie bereits erwähnt liegt die Verantwortung für die Befriedigung der Grundbedürfnisse bei der Föderation, nicht bei der Gemeinde. Daher wird über die Allokation der hierfür vorgesehenen Ressourcen von der Föderationsversammlung entschieden. Falls zum Beispiel die Ressourcen einer Gemeinde nicht zur Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Bürger ausreichen, sollte die Föderationsversammlung die zusätzlich benötigten Ressourcen bereitstellten. Ein solches Arrangement hätte den wichtigen Nebeneffekt einer Einkommensumverteilung zwischen reichen Gemeinden mit vielen Ressourcen und armen Gemeinden.

 

Sobald die Föderationsversammlung einen Plan über den Umfang der Befriedigung der Grundbedürfnisse und die allgemeine Ressourcenallokation beschlossen hat, legt die Gemeindeversammlung die Arbeitsaufgaben fest, die sich aus dem Plan ergeben, damit sämtliche Grundbedürfnisse der Gemeinde erfüllt werden. Im Hinblick auf die Spezifizierung der Arbeitsaufgaben können wir den Vorschlag von Albert und Hahnel zu sogenannten „Job-Komplexen“ übernehmen. Dabei werden wo immer möglich spezifische Arbeitsplätze durch Arbeitsplatz-Komplexe ersetzt, die von den Autoren folgendermaßen beschrieben werden:

Eine bessere Option (als die kapitalistische und die von Koordinatoren beherrschte Herangehensweise) wäre es, Arbeitsaufgaben zu Job-Kom­plexen zu kombinieren, von denen jeder einen Mix von Verantwortlichkeiten enthält, was dafür sorgt, dass die Bedingungen für alle Arbeiter im großen und ganzen vergleichbar sind. Jeder Arbeiter verrichtet ein einzigartiges Bündel von Tätigkeiten, die sich zu einer gerecht zugeteilten Gesamtaufgabe summieren. Statt dass die Beantwortung von Telefonanrufen und das Abtippen von Diktaten von Sekretärinnen erledigt wird, übernehmen einige Arbeiter die Arbeit Telefon und stellen Berechnungen an, während andere Diktate aufnehmen und Produkte entwerfen.[82]

Im Prinzip wird daher die Wahl des Tätigkeitsbereichs individueller Natur sein. Da die Befriedigung der Grundbedürfnisse jedoch nicht einfach der Gnade des künstlichen „Marktes“ für BGs oder dem guten Willen jedes einzelnen Bürgers überlassen werden kann, muss man vielleicht ein gewisses Maß an Rotation einführen, falls die individuellen Entscheidungen der Bürger über ihre Tätigkeiten zur Erfüllung von Grundbedürfnissen nicht dazu führen, dass alle notwendige Arbeit auch getan wird.

 

Im Gegensatz zu Albert und Hahnel betrachte ich Rotation der Arbeit als Ausnahme, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot von Arbeit bewirken soll, und nicht als obligatorische Regel, die für alle Bürger gültig ist. Meiner Meinung nach macht die Schaffung von Lebensumständen, die allen Bürgern vergleichbar viel Zugang zu Macht geben, indem sie an den Gemeinde- und Betriebsversammlungen teilnehmen und in den beschriebenen Job-Komplexen arbeiten, ein System der Rotation des Arbeitsplatzes im allgemeinen überflüssig, das im übrigen in der Gemeinde mehr böses Blut erzeugen könnte als es Nutzen bringen würde. Hierarchische Strukturen am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft insgesamt können nur beseitigt werden, wenn die Bürger in den Betriebs- und Gemeindeversammlungen gleichen Anteil an der Macht haben, statt lediglich von einem Arbeitsplatz zum andern zu rotieren. Auch die Autoren selbst geben zu, dass Rotation vielleicht nicht den gewünschten Effekt eines Ausgleichs von Ungleichheiten zwischen Betrieben hat („Machthierarchien können durch zeitweise Umstrukturierungen nicht beseitigt werden“).[83] Um zu bestimmen, was eine hierarchische Struktur ausmacht, sind ganz offensichtlich einige subtile Unterscheidungen über die verschiedenen Typen von Autorität nötig, wie sie beispielsweise von April Carter diskutiert werden.[84] Die Möglichkeit einer Rotation des Arbeitsplatzes ist weder ein Element einer nicht hierarchischen Struktur, noch unbedingt ein Element der Gleichheit am Arbeitsplatz.

 

Allokation der Arbeit im Sektor für Extra-Bedürfnisse

 

Was die Bedürfnisse betrifft, deren Befriedigung nicht unabdingbar ist, würde ich die Schaffung eines weiteren „künstlichen“ Marktes vorschlagen. Anders als der kapitalistische Arbeitsmarkt würde dieser die Arbeit jedoch nicht wie in Marktwirtschaften auf der Basis von Profiterwägungen zuweisen, und die Zuweisung würde auch nicht wie im „realexistierenden Sozialismus“ auf der Basis von Instruktionen der zentralen Planer erfolgen. Statt dessen würde die Arbeit auf der Basis der Präferenzen der Bürger als Produzenten und als Konsumenten zugewiesen. Dabei würden die Bürger als Produzenten die Arbeit auswählen, die sie gerne tun möchten, und ihre Bedürfnisse würden in einem „Index der Erwünschtheit“ widergegeben, den ich gleich noch beschreiben werde und der zum Teil über die Höhe ihrer Vergütung entscheiden würde. Ferner würden die Bürger als Konsumenten über ihren Verbrauch von EGs direkt auf die „Preise“ nicht grundlegender Güter und Dienstleistungen Einfluss nehmen, und über den Einfluss von „Preisen“ auf die Vergütung indirekt auch auf die Allokation der Ressource Arbeit in jeden einzelnen Tätigkeitsbereich einwirken.

 

Daher würde die Vergütung für Extra-Arbeit, der Faktor also, der über die Anzahl der Extra-Gutscheine, die ein Bürger für solche Arbeit erhält, die Präferenzen der Bürger als Produzenten und als Konsumenten zum Ausdruck bringen. Im Hinblick auf ihre Präferenzen als Produzenten ist klar, dass aufgrund der Ungleichheit verschiedener Arten von Arbeit Gleichheit der Vergütung in Wirklichkeit ungleiche Zufriedenheit mit der Arbeit bedeuten wird. Da aber in die Auswahl gleich welchen objektiven Standards (Nützlichkeit, gesundheitliche Auswirkungen, verausgabte Kalorien etc.) unvermeidlich ein gewisses Maß subjektiver Voreingenommenheit eingehen wird, könnte es sein, dass die einzig rationale Lösung in der Verwendung einer Art „intersubjektiven“ Maßstabs besteht, wie er von Baldelli[85] vorgeschlagen wurde, d.h. in der Verwendung eines „Kriteriums der Erwünschtheit“ für jede Art von Beschäftigung.

 

Aber Erwünschtheit kann nicht, wie Baldelli meint, einfach über die Anzahl der Personen geschätzt werden, die sich bereit erklären, die jeweilige Tätigkeit zu verrichten.

Beim gegenwärtigen Stand der Technologie werden selbst unter der Annahme, dass die heutige Hyperspezialisierung in einer zukünftigen Gesellschaft weitgehend verschwinden wird, viele Tätigkeiten immer noch Fachwissen oder eine spezielle Ausbildung erfordern. Daher sollte ein komplexer „Index der Erwünschtheit“ ausgearbeitet werden, der auf Basis der „festgestellten“ Präferenzen der Bürger bei der Entscheidung für verschiedene Typen grundlegender und nicht grundlegender Tätigkeiten vielfältige Rangeinstufungen verschiedener Typen von Arbeit  verwendet. Die Vergütung für jeden Arbeitstyp könnte dann als Umkehrfunktion ihres Erwünschtheitsindex bestimmt werden (je höher der Index, je begehrter also ein bestimmter Typ von Arbeit ist, desto geringer seine Entlohnung). So liefert der Index uns „Gewichtungen“, die wir bei der Allokation von Extra-Gutscheinen zur Bestimmung des Werts jeder Arbeitsstunde verwenden können.

Der Erwünschtheitsindex kann jedoch nicht der einzige Gradmesser der Vergütung sein. Die Wünsche der Bürger als Konsumenten, wie sie in den „Preisen“ der Extra-Güter und -Dienstleistungen zum Ausdruck kommen, sollten ebenfalls in die Rechnung einbezogen werden.

Das wäre auch insofern wichtig, als die verschiedenen „Preise“ für Güter und Dienstleistungen mit den jeweiligen Vergütungen für die verschiedenen Typen von Arbeit in Beziehung gesetzt würden, so dass die Allokation von Arbeit im Extra-Sektor so vorgenommen werden kann, dass das Gleichgewicht von Nachfrage und Angebot sichergestellt ist. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass die Hälfte der Vergütung für Produktion von Extra-Gütern  und -Dienst­leistungen durch den Erwünschtheitsindex festgelegt und der Rest durch die „Preise“ der Güter und Dienstleistungen bestimmt wird.

Da Arbeit nur einen Teil der Ressourcen darstellt, die zur Produktion von Extra-Gütern und -Dienstleistungen notwendig sind, und der Extra-Sektor von den einzelnen Gemeinde verwaltet wird, können in der Praxis natürlich Probleme auftauchen, die auf die Knappheit verschiedener anderer Ressourcen außer der Arbeit zurückgehen. Aber meiner Meinung nach können solche Probleme durch ein System des Austauschs zwischen den Gemeinden ähnlich dem oben beschriebenen gelöst werden.

Eine wichtige Frage, die sich anlässlich der gründlichen Untersuchung einer früheren Version der oben skizzierten Vorschläge ergab,[86] betrifft die zur Befriedigung einiger der Grundbedürfnisse erforderlichen Dienstleistungen (Ärzte, Lehrer usw.), für die Fachwissen notwendig ist, sowie das Problem, wie diese vergütet werden sollen. Ist es gerecht, wenn ein hoch qualifizierter Heilberufler nur Basis-Gutscheine (BGs) für die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Gemeinde erhält, während ein Künstler für einige Extrastunden, die er mit Malen zubringt, Extra-Gutscheine (EGs) bekommt?[87]

 

Sehen wir uns zur Beantwortung dieser Frage an, wie das vorgeschlagene System im einzelnen funktionieren soll:

  • Erstens: Die Föderationsversammlung beschließt, welche Bedürfnisse Grundbedürfnisse sind und welche nicht, und vermutlich würden die meisten (wenn auch nicht alle) Dienstleistungen im Gesundheits- und Bildungsbereich als „grundlegend“ klassifiziert werden.

  • Zweitens beschließt dieselbe Versammlung einen Plan zur Implementierung, der im Hinblick auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse ein Gleichgewicht zwischen föderaler Nachfrage und föderalem Angebot herstellt. Der Plan spezifiziert die Anzahl der für jeden Tätigkeitstyp benötigten Arbeitsstunden und sonstigen Ressourcen, womit für die Grundbedürfnisse aller Bürger der Föderation gesorgt ist.

  • Drittens entscheiden die Bürger individuell darüber, welcher Beschäftigung sie hauptsächlich nachgehen wollen.

 

Bei Tätigkeitstypen, die keine besonderen Kenntnisse und keine besondere Ausbildung erfordern, sollte es eigentlich kein Problem bei der Allokation von Arbeit und Vergütung geben. Bei Tätigkeitsbereichen, die dies sehr wohl erfordern, ergibt sich aber aufgrund der Tatsache, dass die hier in Frage stehende Arbeit größtenteils, wenn nicht sogar insgesamt „grundlegend“ ist, ein Problem mit der Vergütung. Wie kann das angesprochene „Arzt-Künstler-Paradox“ gelöst werden? Diese Art von Problemen kann meines Erachtens gelöst werden, wenn man den Teil der gesamten grundlegend notwendigen Arbeit spezifiziert, der keine Spezialausbildung und -kenntnisse erfordert und ihn dem Teil, bei dem dies erforderlich ist, gegenüberstellt (die Planer könnten die jeweiligen Anteile leicht schätzen). Dann könnte alle nicht spezialisierte Arbeit als „grundlegend“ betrachtet werden und die Bürger nur zum Erhalt von BGs berechtigen. Die Anzahl von Stunden, die jeder Bürger mit Arbeit in diesem Tätigkeitsbereich verbringen müsste, würde in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des von der Föderalversammlung beschlossenen Plans festgelegt werden. Im Bereich der spezialisierten Arbeit könnten Personen, die in solchen Tätigkeitsbereichen arbeiten, für jede Stunde geleisteter „Basis“-Arbeit zum Erhalt von EGs berechtigt werden. So könnte ein Arzt zusätzlich zu seinen BGs für jede Stunde an geleisteter „Basis“-Arbeit eine (auf Basis des Erwünschtheitsindex festgelegte) Anzahl von EGs erhalten. Damit würde das „Arzt/Kün­stler-Paradox“ gar nicht entstehen, weil ein Arzt außer seinen BGs automatisch eine Anzahl von EGs erhält, während ein Künstler - wenn die Versammlung seine Arbeit nicht als zur Befriedigung der Grundbedürfnisse nötig einstuft - lediglich BGs und so viele EGs erhalten wird, wie es den Arbeitsstunden entspricht, die er als Künstler zu leisten bereit ist. Wenn allerdings die Föderationsversammlung die Arbeit des Künstlers als Erfüllung eines Grundbedürfnisses ansieht, wird der Künstler zum Erhalt von EGs berechtigt sein, deren Zahl sich dann aber nach dem Erwünschtheitsindex bemisst. Natürlich enthält dieser Vorschlag eine gewisse Voreingenommenheit zugunsten spezialisierter Tätigkeitsbereiche, aber angesichts der Tatsache, dass in einer komplexen Gesellschaft die meisten Tätigkeiten in unterschiedlichem Maß Fachbildung und -kenntnisse erfordern, glaube ich nicht, dass dadurch ein ernstes Problem entsteht - so lange der Erwünschtheitsindex die Präferenzen der Gemeinde im Hinblick auf die verschiedenen Arbeitstypen richtig widerspiegelt.

 

Produktionsziele und -technologie

 

Sämtliche Arbeitsplätze würden unabhängig davon, ob sie nun Güter und Dienstleistungen für Grund- oder Extra-Bedürfnisse produzieren, der direkten Kontrolle von Betriebsversammlungen unterstehen, die auf Basis der Präferenzen der Bürger über die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszuteilungen entscheiden. Im Hinblick auf die Produktionsziele müssen wir zwischen den verschiedenen Typen von Produktion unterscheiden.

 

Basis-Güter und -Dienstleistungen

 

Die allgemeinen Produktionsziele der Föderation würden wie oben beschrieben durch die Föderationsversammlung festgelegt. Die spezifische Höhe und Zusammensetzung der Produktion jedes einzelnen Arbeitsplatzes würden von der Betriebsversammlung bestimmt, und zwar auf Basis der vom Föderationsplan festgelegten Ziele und der Präferenzen der Bürger, wie sie durch die Verwendung von Gutscheinen für die jeweiligen Produkttypen zum Ausdruck kommen. So könnten die Betriebe einen Anteil der (laut Föderationsplan) verfügbaren Ressourcen der Gemeinde beanspruchen, der proportional zur Summe der Gutscheine wäre, welche die Bürger als Konsumenten ihnen dafür bieten würden..

 

Extra-Güter und -Dienstleistungen

 

Produzenten von Extra-Gütern würden die Menge und Zusam­mensetzung ihrer Produktion regelmäßig an die Zahl der von ihnen eingenommenen Gutscheine (die Nachfrage also) anpassen, immer vorausgesetzt, dass die Ressourcen für ihren Typ von Tätigkeit auch vorhanden sind. Also sollte es außer dem Föderationsplan auch noch Gemeindepläne geben, die sich mit der Ressourcenallokation im Extra-Sektor befassen. Hauptziel dabei wäre, den Betriebsversammlungen die Verfügbarkeit von Ressourcen anzuzeigen, damit diese ihre eigenen Produktionspläne aufgrund solider Informationen festlegen und dementsprechend ein grobes Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage sowie negative ökologische Effekte vermeiden können. So könnten die Gemeindeplaner aufgrund der vorherigen Nachfrage nach bestimmten Extra-Produkten, der Zukunftsschätzungen sowie der Zielsetzung, ein ökologisches Gleichgewicht und ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen, unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen der Gemeindeversammlung Empfehlungen zu möglichen Produktionszielen geben, so dass die Versammlung wohlinformierte Beschlüsse zu den Parametern der Verteilung der Ressourcen auf die verschiedenen Sektoren fassen könnte. Die tatsächliche Verteilung unter den Produktionseinheiten würde jedoch aufgrund der Nachfrage nach ihren jeweiligen Produkten erfolgen (die sich an der Summe der EGs zeigen würde, die den jeweiligen Betrieben für ihr Produkt gebotenen würden). Sie würde von Produktionseinheiten direkt untereinander geregelt und nicht durch einen zentralen bürokratischen Mechanismus.

Intermediärprodukte

 

Produzenten „intermediärer“ Güter (Maschinerie etc.), die für die Produktion von Basis- und Extra-Gütern benötigt werden, würden eine Produktzusammensetzung produzieren, die „über Auftrag“ geregelt würde. So würden Hersteller von Endprodukten auf Basis der Nachfrage nach ihren eigenen Produkten und der Planziele Aufträge an Produzenten von Intermediärgütern vergeben. Also sollten die Föderations- und Gemeindepläne auch Ziele für Intermediärgüter und Entscheidungen über die wichtige Frage des zeitlichen Verlaufs der Allokation von Ressourcen (Ressourcen, die für Investitionen der Gemeinde bereitgestellt werden sollen) enthalten.

 

Technologie

 

Ein wichtiges Problem im Hinblick auf die Produktion ist schließlich die Frage, ob ein neues, auf wirtschaftlicher Demokratie basierendes Wirtschaftssystem die Abschaffung der heutigen Technologie voraussetzt. Wie bereits erläutert, besteht eine direkte Beziehung zwischen Technologie und gesamtgesellschaftlicher Organisation, besonders auch der Organisation der Produktion. Daher wird sich die Veränderung der Ziele des Wirtschaftssystems, die sich aus der Einführung der wirtschaftlichen Demokratie ergibt, auch in den von der Gemeinde und den Betrieben verwendeten Technologien niederschlagen. Natürlich ist damit nicht ausgeschlossen, dass die neuen Technologien weiterhin Bestandteile der existierenden Technologie enthalten können, sofern diese mit den grundlegenden Zielen einer gemeindebasierten umfassenden Demokratie vereinbar sind.

In einer dynamischen wirtschaftlichen Demokratie sollten Investitionen in die technologische Innovation sowie in Forschung und Entwicklung ein wichtiger Bestandteil der Beratungen der föderierten Gemeindeversammlungen sein. Dabei würde die Beratung durch Betriebsversammlungen und Konsumverbände natürlich eine wesentliche Rolle beim Entscheidungsprozess spielen.

Einkommensverteilung

 

Das vorgeschlagene System wird sich auf die Einkommensverteilung dergestalt auswirken, dass auf die Aufteilung in grundlegende und Extra-Arbeit unvermeidlich ein gewisses Maß an Ungleichheit folgt. Aber diese Ungleichheit wird von der heute bestehenden Ungleichheit quantitativ und qualitativ verschieden sein. Quantitativ, weil sie minimal sein wird, qualitativ, weil sie ausschließlich auf freiwillig geleistete Arbeit zurückgehen wird und nicht, wie heute, auf akkumuliertem oder ererbtem Reichtum. Außerdem wird sie weder direkt noch indirekt institutionalisiert, da zusätzliches Einkommen und zusätzlicher Besitz (die wiederum auf zusätzliche Arbeit zurückgehen) nicht mit zusätzlicher wirtschaftlicher oder politischer Macht verbunden sein werden und nach dem Tod nicht vererbt werden, sondern auf die Gemeinde übergehen.

 

Ein derart minimaler Grades an Ungleichheit wie gerade beschrieben steht in keinerlei Widerspruch zur wirtschaftlichen Demokratie, deren Bedeutung weiter gefasst werden muss und sich auf die gleichberechtigte Aufteilung der wirtschaftlichen Macht, nicht einfach auf eine gleiche Verteilung des Einkommens bezieht. Von daher gesehen leidet der von Castoriadis[88] vorgelegte Vorschlag für wirtschaftliche Demokratie unter einer Reihe von Mängeln, die sich daraus ergeben, dass er von einer Geldwirtschaft und einem wirklichen Markt ausgeht, der dann mit einer Form von demokratischer Planung kombiniert wird. Geld wird immer noch als unpersönliches Mittel des Austauschs und Werteinheit verwendet, obwohl es, da sich die Produktionsmittel in Kollektivbesitz befinden, angeblich seiner Funktion als Mittel zur Anhäufung von Vermögen beraubt ist. Aber während das Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln die Verwendung von Geld als Kapital tatsächlich verhindert, können nur autoritäre Maßnahmen die Menschen davon abhalten, es als Mittel zur Vermögensanhäufung zu benutzen, was zu ernsthaften Ungleichheiten in der Verteilung des Reichtums führt. Darüber hinaus basiert das vorgeschlagene System in entscheidendem Maß auf einem institutionellen Arrangement, das der Autor als „Nichtdifferenzierung von Löhnen, Gehältern und Einkommen“ beschreibt.[89] Aber ein solches Arrangement ist nicht nur unpraktikabel, was dieses System utopisch im negativen Sinn des Wortes macht, sondern auch gar nicht wünschenswert. Wie ich oben bereits ausgeführt habe, sind gewisse Unterschiede in der Vergütung notwendig, um die ungleiche Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu kompensieren, die sich aus den sehr verschiedenen Typen von Arbeit ergibt.

 

Austausch zwischen den Gemeinden

 

Selbstversorgung bedeutet nicht nur wirtschaftliche, sondern auch physische Dezentralisierung der Produktion in kleinere Einheiten und eine vertikale Integration der Produktionsphasen, die von der modernen (an den globalen Markt angepassten) Form der Produktion zerstört worden ist. Daher wird ein Kurs auf Selbstversorgung jeder Gemeinde wesentlich zur Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Nachfrage und Angebot beitragen. Da Selbstversorgung aber nicht Selbstgenügsamkeit bedeutet, wird trotz der Dezentralisierung ein bedeutender Teil der Ressourcen von anderen Ge­meinden der Föderation „importiert“ werden müssen. Dementsprechend muss auch ein Überschuss diverser Arten von Ressourcen geschaffen werden, der dann für den „Export“ in andere Gemeinden zur Verfügung steht.

Diese „Tauschvorgänge“ finden sowohl im Bereich der Basis- als auch im Bereich der Extra-Produktion statt. Im Hinblick auf den Austausch von Basis-Gütern und -Dienstleistungen wäre es Aufgabe des Föderationsplans, dafür Vorsorge zu treffen. Obwohl die meisten Grundbedürfnisse auf Gemeindeebene befriedigt würden, würden die für die Befriedigung der Grundbedürfnisse benötigten Ressourcen nicht nur aus der Gemeinde selbst, sondern auch aus anderen Gemeinden kommen. Außerdem würde die Erfüllung von Grund­bedürfnissen, die - wie in den Bereichen Transport, Kommunikation und Energie - mehr als eine Gemeinde involvieren, durch den Föderationsplan koordiniert werden. Daher können im Hinblick auf die Austauschbarkeit der BGs zwischen den Gemeinden keine Probleme entstehen.

Was den Austausch von Extra-Gütern betrifft, ergibt sich allerdings ein Problem bezüglich der Austauschbarkeit der EGs. Das liegt daran, dass die Befriedigung von Extra-Bedürfnissen nicht Teil des Föderationsplans ist und dass die zur Befriedigung dieser Bedürfnisse notwendigen Ressourcen sich meist nur an bestimmter Stelle finden. Darüber hinaus wird die Bewertung von Extra-Gütern und -Dienstleistungen je nach den verfügbaren Ressourcen von Gemeinde zu Gemeinde differieren. Daher sollten regionale oder Föderationsversammlungen auf der Basis von Kriterien, die die geographische Disparität materieller (d.h. nicht-menschlicher) Ressourcen berück­sichtigen, ein System für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen festlegen. Und schließlich könnte der Austausch von Gütern und Dienstleistungen mit anderen Föderationen (oder Ländern, in denen immer noch die Marktwirtschaft herrscht) auf der Basis bilateraler oder multi­lateraler Abkommen geregelt werden.

 

Die bisherige Diskussion sollte klar gemacht haben, dass die Erfüllung der beiden Ziele Bedürfnisbefriedigung und Sicherstellung der Wahlfreiheit eine Synthese von kollektiven und individueller Entscheidungsprozessen von einer Art erfordert, wie ich sie hier in Form einer Kombination von demokratischer Planung und Gutscheinen vorgeschlagen habe. Und selbst wenn wir jemals das mythische Stadium erreichen sollten, in dem kein Mangel an Ressourcen mehr  besteht, werden sich weiterhin Fragen stellen, bei denen eine Wahl im Hinblick auf Mittel der Bedürfnisbefriedigung, ökologische Kompatibilität usw. getroffen werden muss. Von daher gesehen gehört der anarchokommunistische Verweis auf eine Nießbrauchs- und Schen­kungswirtschaft, soweit er von einem „objektiven“ materiellen Überschuss ausgeht, in den Bereich der Mythologie eines kommunistischen Paradieses. Das ist ein weiterer Grund, weshalb das hier von mir vorgeschlagene System ein realistisches Modell dafür bieten will, wie wir hier und jetzt, statt in einer mythischen Überflussgesellschaft, in den Bereich der Freiheit eintreten können.


 

[1] Siehe u.a. Jonathan Bolswell, Community and the Economy. The Theory of Public Co-operation (London: Routledge, 1990); Dick Atkinson, The Common Sense of Community (London: Demos, 1994); Amitai Etzioni, The Spirit of Community (New York: Simon & Schuster, 1994).

[2] Siehe Murray Bookchin, Remaking Society (Montreal: Black Rose Books, 1990). Siehe auch Takis Fotopoulos, „The crisis of the growth ecenomy, the withering away of the natin-state and the community-based society“ in Education, Culture and Modernization, Peter Alheit et al. (hg.) (Roskilde, Dänemark: Roskilde Universitätszentrum, 1995).

[3] David Clark, „The concept of community education“ in Community Education, Gart Allen et al. (hg.) (Milton Keynes: Open University Press, 1987), S. 58-60.

[4] Michael Taylor, Community, Anarchy, and Liberty (Cambridge: Cambridge University Press, 1982), S. 26-32.

[5] Michael Taylor zeigt auch schlüssig, warum die liberalen Argumente der „anarcho-kapitalistischen Schule“ (F. Hayek, R. Nozick und andere), nach denen Gleichheit ohne Staatsintervention bald verschwinden würde, logisch und historisch unhaltbar sind, und er demonstriert, dass Gemeinschaft eine notwendige Bedingung für die wenigstens annäheren de Wahrung von Gleichheit ist. Michael Taylor, Community, Anarchy, and Liberty, S. 95-104.

[6] Murray Bookchin, From Urbanization to Cities. Toward a New Politics of Citizenship (London: Cassell, 1995), S. 222.

[7] Paul Anderson und Kevin Davey, „Communitarism“, New Statesman & Society (3. März 1995).

[8] Amitai Etzioni, Common Values“, New Statesman & Society (12. Mai 1995).

[9] Siehe sein Interview in der Athener Tageszeitung Eleftherotypia (29. Mai 1995).

[10] Jonathan Boswell, Community and the Economy. The Theory of Public Co-operation, S. 189-90.

[11] Eric Shragge, „The politics of community economic development“ in Community Economic Development (Montreal: Black Rose Books, 1993), S. 9-10. Siehe auch Dick Atkinson, The Common Sense of Community, über die wirtschaftliche Gemeindeentwicklung in Großbritannien.

[12] Siehe besonders Bookchin, From Urbanization to Cities und Remaking Society. Siehe auch Society and Nature, Vol. 1, Nr. 3 (1993) und dort besonders die Artikel von Murray Bookchin „The meaning of confederalism“, S. 41-54, Howard Hawkins, „Community, control, workers’ control and the cooperative commonwealth“, S. 55-85 und Takis Fotopoulos „The economic foundations of an ecological society“, S. 1-40.

[13] Murray Bookchin, „The meaning of confederalism“, Society and Nature, Vol. 1, Nr. 3 (1993).

[14] Mogens Herman Hansen, The Athenian Democracy in the Age of Demosthenes (Oxford: Blackwell, 1991), S. 1. Dort zitiert Hansen zur heutigen Durchführbarkeit direkter Demokratie u.a. F.C. Arterton, Teledemocracy (Washington, DC, 1987), I. McLean, Democracy and New Technology (Cambridge, 1989).

[15] Siehe Takis Fotopoulos, „Direct democracy and electronic ‘democracy’“ für eine Kritik eines unlängst von der Europäischen Union finanzierten Pilotprojekts zur wirtschaftlichen Demokratie, das in Wirklichkeit auf die Modernisierung des existierenden oligarchischen Systems der Entscheidungsfindung abzielt; Eleftherotypia, 25. Februar 1995.

[16] Peter Marshall, Demanding the Impossible, S. 22.

[17] L. Susan Brown, The Politics of Individualism (Montreal: Black Rose Books, 1993), S. 53.

[18] Murray Bookchin, „The democratic dimension of anarchism“, Democracy and Nature, Vol. 3, Nr. 2 (1996).

[19] Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, Peking, Verlag für fremdsprachige Literatur, 1971, S. 14/15; Englisch ders., Critique of the Gotha Programme (Moskau: Progress Publishers, 1966), S. 16.

[20] V. Ramaswamy, „A new human rights consciousness“ IFDA Dossier 80 (Januar-März 1991), S. 9.

[21] Karl Hess, „Rights and reality“ in Renewing the Earth: The Promise of Social Ecology, JohnClark (Hg.) (London: Green Print, 1990), S. 130-33.

[22] Howard Hawkins, „Community control, workers’ control and the cooperative commonwealth“, Society and Nature, Vol. 1, Nr. 3 (1993), S. 75.

[23] Siehe André Gorz, Capitalism, Socialism, Ecology (London: Verso, 1994), S. 3.

[24] Finn Bowring, „André Gorz: ecology, system and lifeworld“, Capitalism, Nature, Socialism, Nr. 24 (Dezember 1995).

[25] André Gorz, „A gauche c’est par où“, Lettre Internationale, Sommer 1990.

[26] Siehe Bookchins Essay „Towards a liberatory technology“ in Post-Scarcity Anarchism (London: Wildwood House, 1974).

[27] André Gorz, Capitalism, Socialism, Ecology, S. 7.

[28] André Gorz, Capitalism, Socialism, Ecology, S. X.

[29] Wie Gorz unter Berufung auf Rainer Land vorschlägt, Capitalism, Socialism, Ecology, S. 12.

[30] André Gorz, Capitalism, Socialism, Ecology, S. 12.

[31] John Clark, „The politics of social ecology: beyond the limits of the city“. Unveröffentlichter Beitrag zur International Social Ecology Conference, Dunoon, Schottland (14.-19. August 1995). Da der Autor keine Zitate aus dem Manuskript genehmigen will, das vorerst nur in Form eines Entwurf existiert, werde ich in meiner Kritik am Öko-Kommunitarismus hier nicht aus diesem Papier zitieren.

[32] Siehe Clarks Besprechung von Deep Ecology for the 21st Century, George Sessions (Hg.) in Trumpeter, Vol. 12, Nr. 2 (Frühjahr 1995), S. 98. Siehe auch Thomas Berry, The Dream of the Earth (San Francisco: Sierra Club, 1988)

[33] Murray Bookchin, The Rise of Urbanization and the Decline of Citizenship (San Francisco: Sierra Club Books, 1987), S. 55.

[34] John Clark, „The spirit of hope“, Delta Greens Quarterly, Nr. 39 (Sommer 1995), S. 2.

[35] Siehe Vernon Richards, Lessons of the Spanish Revolution (London: Freedom Press, 1972), S. 146.

[36] Hannah Arendt, The Human Condition (Chicago: The University of Chicago Press, 1958), S. 44.

[37] L. Susan Brown, The Politics of Individualism, S. 127-28.

[38] So z.B. Robin Blackburns, die Herausgeberin der einstmals radikalen New Left Review, die nunmehr für einen „sozialisierten Markt“ eintritt! Siehe Robin Blackburn, „Fin de siècle: socialism after the crash“, New Left Review (Januar/Februar 1991), S. 5-68.

[39] Siehe etwa M.A. Lutz und K. Lux, Humanistic Economics (New York: Bootstrap, 1988), Kapitel 12; George Benello et al., Building Sustainable Communities (New York: Bootstrap, 1989), Kapitel 18-20.

[40] Siehe z.B. das Werk G. Hodgsons, The Democratic Economy (Gretna, LA: Pelican, 1984), Economics and Institutions (Cambridge: Cambridge University Press, 1988) und Rethinking Economics (Cheltenham: Edward Elgar, 1992).

[41] Michael Taylor, Community, Anarchy, and Liberty, S. 26-32.

[42] Zitiert in Paul Ekins, Trade for Mutual Self-Reliance (London: TOES Publication, 1989), s. 13.

[43] Siehe z.B. Paul Ekins, Trade for Mutual Self-Reliance, S. 9.

[44] Für eine Untersuchung dieses Themas aus der Perspektive eines grünen Ökonomen siehe z.B. Paul Ekins, Local Economic Self-Reliance (London: TOES Publication, 1988).

[45] Siehe Takis Fotopoulos, Dependent Development: The Case of Greece (Athen: Exantas Press, 1985 und 1987), Kapitel A.

[46] Peter Kropotkin, Mutual Aid (Boston: Extending Horizons, 1914), S. 181-86.

[47] 1990-91 gehörten 27 von 45 Ländern mit ein er Bevölkerung von weniger als 500.000 und 9 von 13 mit einer Bevölkerung von weniger als 100.000 zur Kategorie „hohes Einkommen“; Britannica World Data, 1992. Dabei sollte natürlich die Tatsache in Rechnung gestellt werden, daß die Größe vielleicht eine weniger wichtige Rolle im Hinblick auf die wirtschaftliche Lebensfähigkeit einer exportorientierten kleinen Wirtschaft spielt als bei einer selbstversorgenden, aber auch da kann die von den beiden Typen von Wirtschaft verwendete Technologie radikal verschieden sein.

[48] M.A. Lutz und K. Lux, Humanistic Economics, Kapitel 12.

[49] M.A. Lutz und K. Lux, Humanistic Economics, S. 258.

[50] Für eine Definition von angemessener/unangemessener Entwicklung siehe Ted Trainer, „What is development?“, Society and Nature, Vol. 3, Nr. 1 (1995).

[51] Murray Bookchin, „Municipalization: community ownership of the economy“, Green Perspectives (Februar 1986).

[52] Kenneth J. Arrow, „Problems mount in application of free market economic theory“, The Guardian (4. Januar 1994).

[53] Will Hutton, The State We’re In (London: Jonathan Cape, 1995), S. 237.

[54] „The Americans use more fertilizers for their gardens and tennis lawns than the Indians for all uses“, New York Times (14. Juni 1079).

[55] Ted Trainer, Developed to Death (London: Green Print, 1989), S. 118.

[56] Wie zwei Ökonomen es in einem klassischen Buch (James M. Henderson und Richardt Quandt, Micoeconomic Theory, a Mathematical Approach (New York: MacGraw-Hill, 1958) über die orthodoxe Ökonomie ausdrücken: „Die Analyse des Pareto-Optimums akzeptiert die vorherrschende Einkommensverteilung“ (S. 208), und „In genau diesem Sinne repräsentiert perfekter Wettbewerb ein Optimum an Wohlergehen. Er garantiert nicht, daß die Bedingungen zweiter Ordnung erfüllt sind, und er sorgt auch nicht dafür, daß die Verteilung des Einkommens (oder des Nutzens) in irgendeinem Sinne optimal sind“(S. 222).

[57] Ernest Mandel, „In defense of socialist planning“, New Left Review (September/Oktober 1986), S. 5-39.

[58] Interview mit Jacques Bide, Herausgeber von Actuel Marx, in Le Monde (abgedruckt in Eleftherotypia, 26. November 1995).

[59] Hilary Wainwright, Arguments for a New Left (Oxford: Blackwell, 1994), S, 147-48.

[60] Hilary Wainwright, Arguments for a New Left, S. 148.

[61] F. Hayek, Individualism and Economic Order (London: Routledge & Kegan Paul, 1945/49), S. 77-78.

[62] Für eine gründliche Kritik an Hayek und der „libertären“ Rechten siehe Alan Haworth, Anti-Libertarianism, Markets, Philosophy and Myth (London: Routledge, 1994).

[63] Hilary Wainwright, Arguments for a New Left, S. 170.

[64] Cornelius Castoriadis, Worker’s Councils and the Economics of a Self-Managed Society (Philadelphia: Wooden Shoe, 1984), ursprünglich in Socialisme ou Barbarie, „Sur le contenu du Socialisme“, Socialisme ou Barbarie Nr. 22 (Juli-September 1957). Englisch erstmals als Broschüre von Solidarity; gleicher Titel (London: Solidarity, 1972).

[65] Michael Albert und Robin Hahnel, Looking Forward: Participatory Economics for the Twenty-First Century (Boston: South End Press, 1991).

[66] Paul Auerbach et al., „The transition from actually existing capitalism“, New Left Review, Nr. 170 (Juli/August 1988), S. 78.

[67] John Crump, „Markets, money and social change“, Anarchist Studies, Vol. 3, Nr. 1 (Frühjahr 1995), S. 72-73.

[68] Michael Albert und Robin Hahnel, Looking Forward, S. 48.

[69] Michael Albert und Robin Hahnel, Looking Forward, S. 49.

[70] Murray Bookchin, Urbanization Without Cities (Montreal: Black Rose Books, 1992), S. 298. Deutsch: Die Agonie der Stadt. Aufstieg und Niedergang des freien Bürgers, Trotzdem Verlag, Grafenau, 1996, S.

[71] Howard Hawkins, „Community control, workers’ control and the cooperative commonwealth“, Society and Nature, Vol. 1, Nr. 3 (1993), S. 60.

[72] Manfred Max-Neef, „Human-scale economics: the challenges ahead“ in The Living Economy, Paul Ekins (Hg.) (New York: Routledge & Kegan Paul, 1986), S. 45-54, und „Development and human needs“ in Real Life Economics: Understanding Wealth Creation, Paul Ekins und M. Max-Neef (Hg.) (London: Routledge, 1992), S. 197-213.

[73] Siehe Len Doyal und Ian Gough, A Theory of Human Need (London: Macmillan, 1991).

[74] Ernest Mandel, „In defense of socialist planning“, S. 14-15.

[75] Für eine überzeugende Kritik der klassischen Lösung siehe Peter Kropotkin, The Conquest of Bread (New York: Penguin, 1972), Kapitel 13.

[76] Siehe Heinz Kohler, Welfare and Planning (New York: Wiley & Sons, 1966), S. 129-36. Siehe auch Morris Bornstein, „The Soviet centrally planned economy“ in Comparative Economic Systems, Morris Bornstein (Homewood, Illinois: Richard Irwin, 1985).

[77] Takis Fotopoulos, „The economic foundations of an ecological society“, Society and Nature, Vol. 1, Nr. 3 (1993).

[78] David Pepper, Modern Environmentalism (London: Routledge, 1996), S. 321.

[79] Takis Fotopoulos, „The economic foundations of an ecological society“, S. 32.

[80] B.F. Skinner, Walden II (New York: Macmillan, 1976), Kapitel 8.

[81] Noam Chomsky, The Chomsky Reader, James Peck (Hg.) (London: Serpent’s Tail, 1987), S. 158. Deutsch in ders., Aus Staatsraison, Frankfurt/Main, Suhrkamp, 1974, S. 45.

[82] Michael Albert und Robin Hahnel, Looking Forward, S. 20.

[83] Michael Albert und Robin Hahnel, Looking Forward, S. 19.

[84]ten Ideen, besonders die von der Gleichheit der Löhne wiederholen bereits früher in Worker’s Councils and the Economics of a Self-Managed Society vorgebrachte Ideen.

[89] Cornelius Castoriadis, „An interview“.

 


 

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stify"> [87] Steve Millett, persönliche Mitteilung an den Autor.

[88] Cornelius Castoriadis, „An interview“, Radical Philosophy, Vol. 56 (Herbst 1990), S. 35-43. Einige der in diesem Interview skizzierten Ideen, besonders die von der Gleichheit der Löhne wiederholen bereits früher in Worker’s Councils and the Economics of a Self-Managed Society vorgebrachte Ideen.

[89] Cornelius Castoriadis, „An interview“.

 


 

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